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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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Fenster habe sich geöffnet, das Licht und Leben in die träge Zurückgezogenheit brachte, in der ich lebte, und mir einen Blick auf eine völlig neue und unbekannte Welt erlaubte.
    Auch von anderer Seite ergab sich ein völlig unerwarteter Briefwechsel. Der gefeierte Journalist, Romancier und Dramatiker George Henry Lewes schrieb, nachdem er eine großzügige Besprechung von
Jane Eyre
veröffentlicht hatte, an Currer Bell (Briefe, die mir von Smith & Elder weitergeleitet wurden) und hielt mich an, mich in meinem nächsten Buch »vor Melodramatik zu hüten«. Dieser Rat war sicherlich gut gemeint, stand allerdings in krassem Gegensatz zu dem, was ich gerade bei meinen erfolglosen Versuchen erlebt hatte, den Roman
Der Professor
bei einem Verlag unterzubringen. Mr. Lewes empfahl mir weiterhin, ich sollte »den Rat befolgen, der aus Miss Austens milden Augen spricht«, aus den Worten einer Schriftstellerin, die er als »eine der größten Künstlerinnen und eine der besten Zeichnerinnen des menschlichen Charakters« bezeichnete, die es je gegeben habe. Ich wusste, dass Jane Austen im Jahr nach meiner Geburt gestorben war, aber obwohl sich ihre Werke in letzter Zeit wieder großer Beliebtheit erfreuten, waren sie mir nicht bekannt. Neugierig geworden, beschaffte ich mir ein Exemplar von
Stolz und Vorurteil,
das meine Schwestern und ich unverzüglich lasen.
    »Muss man dieses Buch nicht einfach lieben?«, rief Anne aus, als wir am Backtag mit mehligen Händen unsere Küchenpflichten erledigten.
    »Es ist zauberhaft«, antwortete ich. »Ich finde, dass Miss Austen eine kluge und scharfe Beobachterin ist. Aber gleichzeitig erscheint mir ihr Stil überaus zurückhaltend und knapp. Man kann ihr nicht vorwerfen, dass sie weitschweifig schreibt. Dem Roman fehlt es jedoch – wie soll ich es sagen – an den Gefühlen.«
    »Weit untertrieben!«, rief Emily, während sie kräftig den Brotteig knetete. »Miss Austen beschreibt beinahe gar nichts. Es gibt keine körperliche Zuneigung zwischen ihren Liebenden und im ganzen Roman keinen Funken Leidenschaft! Sie ist keine Dichterin!«
    »Kann man denn überhaupt eine große Künstlerin sein, wenn man nicht auch poetisch schreibt?«, fragte ich mich. »Ihr Buch ist wie ein mit großer Sorgfalt gepflegter Garten: ordentliche Beete und zarte Blüten, aber kein Blick auf ein strahlendes, lebhaftes Menschenantlitz – keine offene Landschaft – keine frische Luft – kein fernes Gebirge – kein murmelnder Bach.«
    »Ich jedenfalls möchte nicht mit ihren Damen und Herren in ihren eleganten, aber sehr einschränkenden Häusern leben«, sagte Emily.
    »Nun,
ich
fand ihre Gestalten herrlich«, entgegnete Anne, »und die Geschichte höchst amüsant und sehr schlau erfunden.«
    »Im letzten Punkt bin ich deiner Meinung«, sagte ich mit Bestimmtheit. »Miss Austen kann tatsächlich außerordentlich amüsant und ironisch sein, und sie setzt diese Mittel so großartig ein, wie ich es noch nie gelesen habe.«
     
    Ich hatte meinem Bruder nicht erzählt, dass mein Buch veröffentlicht worden war; er war ohnehin in seinem Verfall zu weit vorangeschritten, als dass er es bemerkt oder es ihn berührt hätte. Nun, da ich einigen Erfolg hatte, kamen jedoch meine Schwestern und ich überein, dass es Zeit war, meinem Vater die Wahrheit zu entdecken.
    An einem Nachmittag in der ersten Dezemberwoche nahm ich ein Exemplar von
Jane Eyre
und einige Rezensionen mit in Papas Studierzimmer, darunter der Fairness halber auch eine Kritik, die sich nicht besonders lobend äußerte. Papa saß in seinem Sessel beim Feuer und ruhte ein wenig die Augen aus, nachdem er sein Essen früh und, wie er das oft vorzog, allein zu sich genommen hatte. Ich stellte mich neben ihn.
    »Papa, ich habe ein Buch geschrieben.«
    »Ach wirklich, meine Liebe?«
    »Ja, und ich möchte gern, dass du es liest.«
    »Besser nicht«, antwortete er mit geschlossenen Augen. »Ich finde, dass deine Schrift zu schwer zu entziffern ist, und fürchte, dass das meine Augen überanstrengen könnte.«
    »Aber es ist kein Manuskript, Papa. Es ist gedruckt.«
    »Aber meine Liebe!« Nun schaute mich Papa erschrocken an. »Du hättest solche Kosten nicht auf dich nehmen sollen. Es wird sicherlich ein Verlust werden, denn wie kannst du ein Buch verkaufen? Niemand kennt deinen Namen.«
    »Ich habe nicht selbst für die Veröffentlichung bezahlt, Papa, und ich glaube auch nicht, dass es ein Verlust sein wird. Du denkst das bestimmt auch nicht mehr, wenn du

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