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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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Bell war Mutters Bruder. Er war Pfarrer und Lehrer und ein wenig wohlhabender als mein Vater. Eines Tages sah er, als er bei uns zu Besuch war, wie übervoll unser Haus war und wie schwer sich meine Eltern taten, so viele Mäuler zustopfen. Ich hörte mit an, wie sich die Erwachsenen unterhielten. Mein Vater machte sich Sorgen. Er meinte, meine beiden ältesten Brüder würden den Bauernhof erben, und meine Schwestern würden wohl heiraten oder sich irgendwo als Mägde verdingen. Aber was sollte bloß aus seinen beiden jüngeren Söhnen werden? Onkel Bell – obwohl er damals selbst zwei kleine Kinder hatte – bot sich an, mich und meinen Bruder Alan mit zu sich nach Hause nach Banagher zu nehmen und uns wie seine eigenen Kinder großzuziehen. Meine Eltern erklärten sich einverstanden.«
    Ich schaute ihn betroffen an. »Einfach so? Ihre Eltern haben Sie weggegeben?«
    »Ja.« Kurz leuchtete Schmerz in Mr. Nicholls’ Augen auf.
    »Wie alt waren Sie da?«
    »Sieben. Alan war gerade zehn geworden.«
    »Oh! Das ist wirklich sehr früh, um Vater und Mutter zu verlassen.«
    »Das war es – und eine schwere Entscheidung für meine Eltern, da bin ich mir sicher. Aber eine freundliche und selbstlose Tat meines Onkels. Ich werde nie den Anblick vergessen, wie meine Mutter und mein Vater schluchzend in der Tür des Hauses standen, als wir wegfuhren. Ich habe sie oder meine Geschwister nie wiedergesehen.«
    »Nie? Warum nicht?«
    »Meine Eltern meinten, es wäre für uns alle zu belastend; und Alan und ich dürften nicht zurückschauen, wenn wir mit einer anderen Familie einen Neuanfang machten«, erklärte Mr. Nicholls.
    »Oh!« Diese Offenbarung schmerzte mich so sehr, dass ich kaum reden konnte. Mr. Nicholls tat mir von ganzem Herzen leid. Auf einmal glaubte ich, ihn besser zu verstehen. Kein Wunder, dass er seine Gefühle für sich behielt, kein Wunder,dass er sich so fest an Menschen band, wenn er es sich einmal gestattete, etwas für jemanden zu empfinden.
    »Es war aber dann der Anfang eines neuen Lebens für mich, Miss Brontë. Meine Tante und mein Onkel nahmen uns in ihr Zuhause und in ihre Herzen auf und behandelten uns wie einen Teil ihrer eigenen, wachsenden Familie. Ihre Kinder – es waren dann am Ende neun …«
    »Neun!«
    Er nickte und lächelte plötzlich. »Meine Vettern und Cousinen waren wie jüngere Geschwister für Alan und mich. Tante und Onkel Bell waren liebevoll und großzügig und teilten alles, was sie hatten. Da mein Onkel eine Schule leitete, genossen wir zudem eine hervorragende Bildung, und als wir herangewachsen waren, schaffte er es, dass Alan und ich das Trinity College besuchen konnten. Er ist vor beinahe fünfzehn Jahren verstorben. Ich vermisse ihn sehr – wie auch die ganze Familie.«
    »Das tut mir leid.«
    »Danke. Alles, was ich heute bin, habe ich Onkel und Tante Bell zu verdanken. Tante Bell ist eine wunderbare Frau. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich einmal kennenlernen könnten.«
    »Das wäre mir eine Ehre. Wie interessant, dass wir beide von einer Tante mütterlicherseits aufgezogen wurden.«
    »Das haben wir zumindest gemeinsam.«
    »Wie war das Haus Ihrer Tante und Ihres Onkels?«
    »Ihr Haus?« Er zögerte. »Es war voller liebender Herzen, und man nahm mich dort mit offenen Armen auf. Schließlich ist das alles, worauf es ankommt, nicht?«
    »Da bin ich völlig Ihrer Meinung.«
    »Meine Tante und die meisten meiner Vettern und Cousinen leben noch in Banagher. Dahin fahre ich jeden Herbst, wenn ich Ferien habe.«
    »Oh! Und ich habe die ganze Zeit vermutet, dass Sie Ihre Eltern besuchen fuhren.«
    »Nein. Meine Mutter ist gestorben, als ich zwölf war. Mein Vater ist vor fünf Jahren von uns gegangen, mit achtzig Jahren – hat man mir berichtet. Jahrelang habe ich mich schuldig gefühlt, dass ich nicht bei ihnen war, als sie starben.«
    Ich schüttelte traurig den Kopf. »Ich weiß, wie es ist, die Mutter in so jungen Jahren zu verlieren. Ich war selbst erst fünf Jahre alt, als meine Mutter starb.«
    »Es hinterlässt eine große Leere in einem, die sich nie wieder ganz füllen lässt, finden Sie nicht?« Als ich nickte, fuhr er fort: »Ich habe mir überlegt, dass deswegen alle Hauptfiguren in Ihren Romanen Waisen sind, habe ich recht, Miss Brontë?«
    Ich gestand ihm das ein. Wir gingen weiter und unterhielten uns freundschaftlich, bis wir das Dorf Oxenhope erreichten, umkehrten und wieder zurückspazierten. Als wir wieder im Pfarrhaus angelangt waren, tranken

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