Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
nur wartete und ihr Geliebter sich beweisen könnte. Aber sie war eine verwöhnte, reiche und mit Vorurteilen behaftete junge Frau; sie stellte alles auf den Kopf, indem sie dich kritisierte, obwohl sie gar nichts über dich wusste, und ich habe mich – zu meiner ewigen Beschämung – nicht gleich auf deine Seite geschlagen, wie ich es hätte tun sollen. Ich begreife nun, dass ich mindestens genauso blind und voller Vorurteile war wie sie. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie kultiviert deine Familie ist, in was für einem herrlichen Zuhause sie lebt! Aber selbst wenn du aus der ärmlichsten Familie Irlands stammtest, Arthur, dann würde mir das nichts ausmachen. Alles, worauf es ankommt, bist du. Und du bist mir in jeder Beziehungmehr als ebenbürtig. Ich bin stolz darauf, mit dir verheiratet zu sein, Arthur. Ich liebe dich! Ich habe nicht gemerkt, wie sehr ich dich liebe, bis zu jenem Augenblick auf dem Schiff, als mich die junge Frau fragte, was ich für dich empfand. Deswegen habe ich so lange gebraucht, um zu antworten. Ich liebe dich, Arthur, und es tut mir so leid, dass ich irgendetwas gesagt oder getan habe, das dir Schmerzen bereitet hat. Kannst du mir verzeihen?«
Mir schossen die Tränen in die Augen. Er trat vor und nahm meine Hand in die seine. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich erhofft und erträumt habe, diese Worte von dir zu hören! Meinst du sie ehrlich, Charlotte? Liebst du mich wirklich?«
»Von ganzem Herzen.«
Als die Hunde herbeigerannt kamen und um uns herumjagten, zog mich mein Mann in seine Arme und küsste mich immer und immer wieder.
Wir blieben eine Woche in Cuba House – es war eine der herrlichsten Wochen meines Lebens. Wir unternahmen gemütliche Bootsfahrten auf dem Shannon und lange Spaziergänge auf dem Land. Wir genossen köstliche Picknicks und Abende voller Fröhlichkeit, Musik und Tanz. Während dieser Zeit erholte ich mich vollkommen von meiner Krankheit. Immer fühlte ich mich wohl und völlig von allen angenommen. Mit großem Bedauern und dem ehrlich gemeinten Versprechen, im nächsten Jahr wiederzukehren, verabschiedeten wir uns von den Bells.
Die nächsten beiden Wochen unserer Hochzeitsreise führten uns durch den Westen Irlands. Unter anderem hielten wir uns in Kilkee auf, einem außerordentlich idyllischen Ort, der oberhalb einer wunderbaren Bucht am Meer liegt. Zum erstenMal seit unserer Ankunft in Irland waren mein Mann und ich allein. Wir genossen diese gemeinsame Zeit und die Gelegenheit, unsere innige Vertrautheit zu erneuern und unser Wissen übereinander zu vertiefen. Am ersten Morgen in Kilkee spazierten wir zu den Klippen und sahen tief unter uns, wie die Wellen des Atlantiks schaumgekrönt an die grandiose Küste rollten. Ich war so überwältigt von diesem herrlichen Anblick, dass ich einfach nur dasitzen und schauen und still sein wollte, anstatt zu laufen und zu reden. Arthur erfüllte mir nicht nur diesen Wunsch, sondern gab mir zu verstehen, dass er genauso empfand.
Während wir all die wunderbaren Sehenswürdigkeiten besuchten, die Irland zu bieten hat, und unterwegs die herrliche Landschaft bewunderten, genoss ich die freundliche und unermüdliche Fürsorge und den Schutz meines Mannes, die das Reisen für mich zu einer ganz anderen und sehr viel angenehmeren Angelegenheit machten, als es das früher gewesen war. Am schönsten waren jedoch meine tiefe Zufriedenheit und das Entzücken, das mir Arthurs Gesellschaft bereitete. Oft zog er mich in einer unerwarteten zärtlichen Geste in die Arme und sagte mit tiefster Aufrichtigkeit: »Danke, dass du mich geheiratet hast. Du machst mich sehr glücklich.« Mit Gewissheit und Freude erwiderte ich dieses Gefühl.
Auf unserer Hochzeitsreise war ich meinem Gatten nicht nur für mein neu gefundenes Glück dankbar, sondern ich verdankte ihm auch mein Leben.
Als wir auf Pferderücken mit einem Führer einen Ausflug durch die enge, gewundene Bergschlucht hoch über dem Gap of Dunloe bei Killarney unternahmen, glitt meine Stute aus und wurde sehr unruhig. Arthur stieg rasch von seinem Pferd und nahm den Zügel des meinen, um es zu führen. Plötzlich bäumte sich die Stute auf. Ich wurde aus dem Sattel geschleudertund landete unter ihr auf den Steinen. Ich spürte, wie ihre Hufe rings um mich herum auf die Erde schlugen und dachte, mein letztes Stündlein sei gekommen und ich würde zermalmt. Arthur ließ voller Bestürzung erschreckt die Stute los, und sie sprang über mich
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