Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
der Kritik und des lesenden Publikums.
An den Journalist, Romancier und Dramatiker George Henry Lewes
12. Januar 1848
Wenn Autoren am besten schreiben oder zumindest wenn sie am flüssigsten schreiben, scheint sich in ihnen ein Einfluss zu regen, der sie überwältigt, der eine ganz eigene Richtung einschlägt und der sie alle Anweisungen außer den seinen völligaußer Acht schlagen lässt, der bestimmte Worte diktiert und darauf besteht, dass sie benutzt werden, seien sie nun ungestümer oder gemäßigter Art, der neue Personen herausbildet und den Ereignissen ungeahnte Wendungen gibt, der sorgfältig ausgearbeitete alte Gedanken mit einem Federstreich verwirft und plötzlich neue schafft und übernimmt. Ist das nicht so? Und sollten wir versuchen, diesem Einfluss entgegenzuwirken? Können wir ihm überhaupt entgegenwirken?
An Ellen Nussey
3. Mai 1848
Ich habe
niemandem
das Recht gegeben, zu bestätigen oder auch nur im Entferntesten anzudeuten, dass ich »veröffentliche« (Unsinn!) … Und wenn man mir zwanzig Bücher zuschriebe, so würde ich mich doch zu keinem einzigen bekennen. Ich widerspreche diesem Gedanken auf das Ausdrücklichste.
An William S. Williams
14. August 1848
Die erste Pflicht eines Autors ist – denke ich – eine getreue Bindung an die Wahrhaftigkeit und die Natur.
An William S. Williams
2. Oktober 1848
Mein unglückseliger Bruder hat nie erfahren, was seine Schwestern in der Literatur bewerkstelligt haben – er war sich nicht bewusst, dass sie jemals auch nur eine Zeile veröffentlicht hatten, wir konnten ihm von unseren Bemühungen nichts erzählen, weil wir fürchteten, in ihm eine zu schmerzliche Reue darüber zu entfachen, dass er seine eigene Zeit so schlecht genutzt, seine Begabung vergeudet hat. Nun wird er es
niemals
wissen. Ich kann mich im Augenblick mit diesem Thema nicht eingehender beschäftigen; es ist zu schmerzlich.
An William S. Williams
21. September 1849
Die beiden Menschen, die mich verstanden haben und die ich verstand, sind nun fort … Der Verlust dessen, was uns auf dieser Welt am liebsten und teuersten ist, bleibt nicht ohne Auswirkungen auf den Charakter: Wir suchen, was uns noch geblieben ist, was uns stützen kann, und wenn wir es finden, klammern wir uns daran mit einer neu entwickelten Hartnäckigkeit fest.
Die Gabe der Phantasie hat mich emporgehoben, als ich vor drei Monaten unterzugehen drohte. Dass ich mich nun eingehend mit ihr beschäftige, hat seither meinen Kopf über Wasser gehalten – und die Ergebnisse erheitern mich jetzt, denn ich habe das Gefühl, damit anderen Vergnügen bereitet zu haben. Ich danke Gott, der mir diese Gabe geschenkt hat.
An William S. Williams
(Nach der Lektüre von Jane Austens
Emma
)
Ich habe es mit Interesse gelesen und mit dem Maß an Bewunderung, das Miss Austen selbst für vernünftig und angemessen empfunden haben würde – alles, was Wärme oder Begeisterung, alles, was schwungvoll, schmerzlich, herzlich ist, wäre bei einem Lob dieser Werke fehl am Platze. Diese Bekundungen hätte die Autorin sämtlich mit einem wohlerzogenen, aber verächtlichen Lächeln quittiert und ruhig und besonnen als überspannt und extravagant verdammt. Sie erfüllt ihre Aufgabe, die Oberfläche des Lebens der vornehmen Engländer zu zeichnen, auf seltsame Weise hervorragend. Ihre Bilder haben die zarte Genauigkeit einer chinesischen Miniatur.Niemals verstört sie ihre Leser durch irgendetwas Heftiges, nie erschreckt sie sie durch irgendetwas Tiefsinniges. Leidenschaften sind ihr völlig unbekannt … selbst Gefühlen gewährt sie kaum mehr als eine gelegentliche dankbare, aber distanzierte Anerkennung: sich zu oft mit ihnen zu beschäftigen, das würde die glatte Eleganz ihrer Entwicklung stören … Alles, was aufmerksam sucht, angemessen spricht, sich geschmeidig bewegt, das beobachtet sie gern; was jedoch rasch und gewaltig pulst, wenn auch unter der Oberfläche verborgen, was das Blut in Wallung bringt …
das
ignoriert Miss Austen … mögen diese Bemerkungen an Gotteslästerung grenzen – ich kann einfach nicht anders.
ÜBER LIEBE UND EHE
An Ellen Nussey
1. April 1843
Es ist eine Torheit, die ich voller Verachtung verwerfe, wenn Frauen, die weder Vermögen noch Schönheit besitzen, die Ehe zum Hauptgegenstand ihrer Wünsche und Hoffnungen und zum Ziel all ihrer Handlungen machen.
An Ellen Nussey
2. April 1845
Ich weiß, dass sich Frauen, wenn sie dem Stigma der Jagd nach einem
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