Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
Männer waren, die ganze Welt zu Füßen! Was gab ihnen das Recht, mit solch fordernden Worten über Frauen, Liebe und die Ehe zu denken, geschweige denn zu reden?
»Das einzige Ziel der meisten unverheirateten Frauen ist, wie ich beobachtet habe, eine Eheschließung«, sagte Mr. Grant. »Sie intrigieren, sie planen, sie kleiden sich schön, sie zieren sich, und alles nur, um sich einen Ehemann zu angeln, und doch werden die meisten niemals einen bekommen.«
»Der Heiratsmarkt in dieser Gegend scheint wahrhaftig übersättigt zu sein«, warf Mr. Nicholls lachend ein.
Nun konnte ich nicht mehr an mich halten. Ich sprang so hastig auf, dass mein Stuhl zu Boden polterte. »Was erwarten Sie denn? Was sollte eine unverheiratete Frau in diesen Zeiten tun, meine Herren, wenn nicht einen Ehemann suchen? Erlaubt ihr denn die Gesellschaft irgendeine andere Beschäftigung?«
Ein verblüffter Blick trat auf alle vier Männergesichter. Ich fuhr mit Feuereifer fort: »Vielleicht halten Sie es für unziemlich, derlei unpopuläre Beschwerden offen zu äußern, die die Gesellschaft auch nicht ohne Weiteres lindern kann – aber ich will gern Ihren Hohn und Ihre Verachtung riskieren, ich will es wagen, Ihren Seelenfrieden zu stören, indem ich Ihnen einige wohl erwogene Wahrheiten sage. Sehen Sie sich die zahlreichen Familien mit Mädchen und jungen Frauen in dieser Gegend an. Sehen Sie sich die Familie Stokes an, deren Töchter Mr. Grant so bereitwillig geschmäht hat. Die Brüder üben alle einen Beruf aus oder sind Geschäftsleute. Die Schwestern sind genauso klug und begabt wie ihre Brüder und wie Sie, aber trotzdem haben sie nichts zu tun! Dieser Stillstand wirkt sich ungünstig auf ihre Gesundheit aus; da ist es kein Wunder, wenn ihr Verstand und ihre Ansichten ebenfalls engstirnig und kleinlich werden. Weil sie aber keine Möglichkeit haben, aus eigener Kraft für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, wissen sie, dass sie dazu verdammt sind, ihren Brüdern oder ihren Vätern zur Last zu fallen und elend, verarmt und einsamzu leben. Wenn es tatsächlich der große Wunsch – das einzige Ziel – jeder Einzelnen von ihnen ist, sich zu verheiraten, da die Ehe ihnen zumindest eine gewisse Bestätigung als geliebte Frau und stolze Mutter gibt und der einzige Stand ist, in dem die Gesellschaft ihnen einigen Respekt zollt – wie kann man ihnen das verübeln?«
Mein Puls pochte heftig, und ich zitterte am ganzen Leibe, so sehr hatte ich mich bei dieser Tirade verausgabt. Die Männer starrten mich konsterniert an, als seien sie wie vom Donner gerührt. Ich stellte rasch meinen Stuhl wieder auf und ging zur Tür, wobei ich dachte: Ich bin froh, dass ich es getan habe; es musste einmal gesagt werden.
Als ich jedoch die Tür erreicht hatte, hörte ich, wie Mr. Nicholls mit seiner ruhigen irisch eingefärbten Stimme sagte: »Die Worte, meine Herren, einer hässlichen alten Jungfer.«
Diese Aussage wurde mit einem Ausbruch von Gelächter quittiert. Meine Wangen glühten; ich wandte mich ungläubig um und starrte ihn an, weil ich nicht sicher war, richtig gehört zu haben. Konnte jemand, in dessen Brust ein Herz pochte, so gefühllose Worte geäußert haben? Mr. Nicholls’ Blick traf sich mit meinem; das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, er erbleichte und wurde scharlachrot.
Ich entfloh, entschlossen, diesen Männern nicht die Genugtuung zu geben, meinen Tränenausbruch zu sehen.
Ich eilte nach oben. Dort half Emily Anne in meinem Schlafzimmer beim Auspacken ihres Schrankkoffers. Anne und ich sollten uns dieses Zimmer ab jetzt teilen. Die beiden warfen nur einen Blick auf mein Gesicht, unterbrachen sofort, was sie taten, und fragten mich, was geschehen war.
Ich sank auf mein Bett nieder, während ich hastig ein paar Tränen wegwischte, die Zeugen meiner hilflosen Qual. »Oh!es ist zu schrecklich. Die Männer haben gerade so gefühllos über unverheiratete Frauen gesprochen, dass ich die Fassung verloren habe. Ich habe ihnen die Meinung gesagt und sie alle sprachlos zurückgelassen.«
»Ich wollte auch schon vorher zwei oder drei Mal etwas anmerken«, sagte Anne, während sie sich neben mich setzte, »aber mir fehlte dazu der Mut.«
»Ich bin sicher, dass sie es nicht anders verdient haben«, fügte Emily hinzu. »Darüber brauchst du doch nicht zu weinen.«
»Ich weine nicht«, behauptete ich, obwohl das natürlich nicht stimmte, »und ich bedaure nicht, was ich gesagt habe. Nur – als ich den Raum verließ, sagte Mr.
Weitere Kostenlose Bücher