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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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Nicholls – oh, ich kann es kaum über mich bringen, es zu wiederholen!«
    »Was hat er gesagt?«, fragte Emily und setzte sich wie ein Türke im Schneidersitz vor mir auf den Boden.
    »Er hat mich …« Ich holte tief Luft und schaffte es kaum, mich zu beruhigen. »Er hat mich eine ›hässliche alte Jungfer‹ genannt!«
    »Nie im Leben!«, rief Anne ungläubig aus.
    »Bist du dir wirklich sicher, dass Mr. Nicholls das gesagt hat?«, erkundigte sich Emily.
    »Mr. Nicholls’ Stimme und Akzent sind nicht zu verkennen.«
    »Ich kann nicht glauben, dass Mr. Nicholls etwas so Grausames sagen würde«, beharrte Anne. »Er scheint ein netter, höflicher junger Mann zu sein, wenn er auch etwas engstirnige Ansichten hat, und er kann so gut mit den Hunden umgehen. Du musst etwas falsch verstanden haben – oder es war jemand anderes.«
    »Ich weiß, was ich gehört habe«, sagte ich und wischte mir die Augen und Nase mit einem Taschentuch ab. »Es machtmir nicht so viel aus, dass er mich eine alte Jungfer genannt hat. Ich verachte diesen Ausdruck im Allgemeinen, aber ich weiß, dass er zutrifft, und ich wusste bereits, dass Mr. Nicholls mich für eine alte Jungfer hält; er hat mich ja schon am ersten Tag, als ich ihn kennenlernte, so bezeichnet. Aber hässlich genannt zu werden!«
     
    Liebes Tagebuch! Ich hoffe, dass ich nicht an der Sünde der Eitelkeit leide. Es ist wirklich wahr, dass die »Schönheit im Auge des Betrachters liegt«. Daher ist mir bewusst, dass man die Meinung eines einzelnen Menschen nicht zu hoch einschätzen sollte; und doch war es zwecklos, mir etwas vorzumachen. Die Welt verehrt einen vollkommenen Teint, rosige Wangen, eine gerade Nase und ein Kirschmündchen; sie bewundert eine Frau, die groß und stattlich ist und eine feine, gut entwickelte Figur hat. Ich erfüllte keine dieser Bedingungen.
     
    »Ich weiß, dass ich klein und unscheinbar bin«, sagte ich mit einem Seufzer, »aber es liegt eine Welt zwischen unscheinbar und hässlich. Eine unscheinbare Frau kann damit leben, dass vielleicht andere bei ihrem Anblick kein Entzücken empfinden, dass aber zumindest ihr Gesicht niemandes Auge beleidigt. Eine hässliche Frau andererseits ist ein Fleck auf dem Antlitz der Schöpfung: ein armes, unglückseliges, verachtenswertes Ding, dessen bloße Anwesenheit Unbehagen hervorruft, Flüstern und Kichern und abgewandte Blicke voller stummen Mitleids. Hässlich! Ich glaube, das ist das vernichtendste Wort der englischen Sprache.«
    »Charlotte, du bist nicht hässlich«, sagte Anne sanft. »Du bist sehr attraktiv. Das sage ich dir schon lange.«
    »Du hast ein gutes, reizendes und angenehmes Gesicht, das wir von Herzen gern anschauen«, erklärte Emily.
    »Das sagt ihr nur, weil ihr meine Schwestern seid.«
    »Ich sage es, weil es wahr ist«, beteuerte Emily. »Niemand in unserer Familie ist von überwältigender Schönheit, aber was macht das schon?«
    »Wünschst du dir nicht manchmal, du wärst schön?«, fragte ich.
    »Ich bin, wie Gott mich geschaffen hat«, antwortete Emily mit einem Schulterzucken. »Ich verspüre nicht den Wunsch, anders zu sein.«
    »Wenn mir solche Gedanken kommen«, meinte Anne, »so schiebe ich sie weit von mir und konzentriere mich auf mein inneres Wesen. Darauf, der beste Mensch zu werden, der ich nur sein kann. Gott achtet nicht darauf, wie unsere äußere Gestalt aussieht.«
    »Er vielleicht nicht, aber die Menschen schon. Sie beurteilen uns nach unserem Aussehen; sie bilden sich ihre erste Meinung danach und weichen kaum jemals von ihr ab. Als ich, nachdem Mr. Nicholls gesprochen hatte, in seine Augen blickte, wirkte er beschämt, aber das entschuldigt seine Worte nicht. Er ist wirklich ein unerträglicher Mann, und Mr. Grant ist auch nicht besser.«
    »So schlimm sind die beiden gar nicht«, meinte Anne, während wir alle aufstanden und ihren Schrankkoffer weiter auspackten. »Die Ansichten, die er in Bezug auf Frauen geäußert hat, zumindest diejenigen, die ich gehört habe, unterscheiden sich eigentlich nicht davon, was ich aus dem Mund von Papa und anderen Männern vernommen habe. Oder von Ansichten, die wir täglich in der Zeitung lesen. Männer sind einfach dazu erzogen, so etwas zu glauben.«
    »Nur weil Männer im Allgemeinen Dummköpfe sind, entschuldigt das noch lange nicht, dass sich diese beiden dem Rest anpassen«, sagte ich.
    »Vielleicht nicht«, gestand mir Anne zu, »aber meiner Meinung nach hast du dich trotzdem verhört, Charlotte. Ich kann mir nicht

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