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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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zu Hause Geld. Ich fühle mich verpflichtet, jede Gelegenheit zum Lernen zu nutzen, damit ich mir das Wissen aneigne, das es mir eines Tages möglich macht, eine Anstellung zu finden.«
    »Es ist wirklich wichtig, sagt mein Vater immer, dass alle Frauen eine Möglichkeit finden, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten«, stimmte mir Mary zu. Sie schaute über meine Schulter auf das Buch, das ich gerade las. »Ist das das Gedicht, das wir auswendig lernen sollen? Oh, wie ich dieses Gedicht hasse! Ich verstehe kein Wort davon.«
    Es war
Die Ballade vom alten Seemann
4 . »Ich kann das ganze Gedicht seit meinen Kindertagen auswendig. Wir müssen nur ein kleines Stück davon lernen. Möchtest du, dass ich es dir erkläre?«
    »Gern.«
    Ich verbrachte den restlichen Teil der Abendstunde damit, Mary das Gedicht zu erläutern und ihr die spannendsten Strophen aufzusagen. Am Ende nickte Mary zufrieden und sagte: »Es ist viel interessanter, wenn du es erklärst. Du bist wirklich ein überaus erstaunliches Mädchen, Charlotte Brontë. Du hast verborgene Tiefen.«
    »Ich hoffe, dass das stimmt, insbesondere da ja die sichtbare Oberfläche so sehr missfällt.«
    Mary errötete und verstummte für einen Augenblick. »Es tut mir wirklich leid, Charlotte, was ich da vor Wochen gesagt habe. Ich rede oft so dahin, ohne vorher nachzudenken. Meine Schwester Martha ist genauso. Man hat uns beigebracht, unsere Meinung zu sagen – aber ich wollte nicht grausam sein. Kannst du mir verzeihen?«
    Mir fiel auf, dass sie nicht sagte, ihre Bemerkung entspräche nicht den Tatsachen oder sie hätte mich nur necken wollen. Ihre aufrichtig vorgebrachte Entschuldigung besänftigte jedoch meinen verletzten Stolz ein wenig. »Ich verzeihe dir.«
    Mary lächelte. »Das freut mich. Jetzt werden wir Freundinnen.«
     
    In jener Nacht geschah etwas, das meinem Schicksal eine dramatische Wende verlieh. Bei Sonnenuntergang begann sich ein Sturm zusammenzubrauen; als die Schlafenszeit herangenaht war, wirbelte der Schnee in großen, wilden Böen draußen vor den Fenstern, und der heulende Wind ließ das Haus ächzen und stöhnen. Amelia, Ellen und ich hatten gerade unsere Nachthemden angezogen und Toilette gemacht, als ein noch unheimlicheres Geräusch die Luft zerriss: ein hohes Winseln, von dem wir überzeugt waren, dass es von einem Menschen kam.
    »Da weint jemand«, sagte ich und lauschte an der Wand, »offenbar im Nebenzimmer.«
    Das Weinen hörte nicht auf, und schon bald ließen sich auch Stimmen vernehmen, die wir aber nicht verstehen konnten. Ellen und ich beschlossen, nebenan nachzusehen. Ich nahm mir eine Kerze; Amelia jammerte, dass sie nicht allein gelassen werden wollte, und gesellte sich zu uns. Wir tappten leise auf den Flur und klopften im Nebenzimmer an. Sogleich öffnete ein Mädchen namens Hannah die Tür und schaute heraus, wobei es die eigene Kerze in die Höhe hielt. »Ja?« Hannah war ein dünnes, ernstes Mädchen. Sie war in den letzten vierzehn Tagen krank gewesen und hatte sich gerade erst wieder erholt.
    »Wir haben jemanden weinen hören«, sagte Ellen. »ist alles in Ordnung?«
    »Ich glaube, Susan fürchtet sich vor dem Schneesturm.«
    »Vielleicht können wir sie trösten«, bot ich an.
    »Wie ihr wollt«, erwiderte Hannah und ließ die Tür offen stehen, während sie ins Zimmer zurückging. »Wir haben schon alles versucht.«
    Wir drei traten ein. Das Zimmer, das unserem ähnelte, beherbergte vier Mädchen. Leah Brooke und ihre Schwester Maria schliefen in dem Bett an der einen Seite. Amelia, Ellen und ich gingen zu dem anderen Bett hinüber, wo wir im flackernden Kerzenschein unter der Steppdecke eine Person ausmachen konnten. »Susan«, flötete ich.
    »Wer ist da?«, ertönte eine leise, dumpfe Stimme.
    »Charlotte Brontë. Wir haben dich weinen hören. Du brauchst vor dem Sturm keine Angst zu haben. Es sind nur der Schnee und die Dachtraufe und der Wind, die miteinander reden.«
    Plötzlich wurde die Steppdecke zurückgeworfen, und die gedrungene rothaarige dreizehnjährige Gestalt, die sich darunter verborgen hatte, setzte sich aufrecht hin, mit einem überaus traurigen Ausdruck auf dem tränenüberströmten Gesicht. »Ich habe keine Angst. Mama sagt, dass ein Schneesturm ein Geschenk Gottes ist, weil er die Welt mit einer frischen weißen, glitzernden Decke einhüllt.« Bei diesen Worten brach Susan erneut in Tränen aus.
    »Wenn du keine Angst hast, was ist dann?«, erkundigte sich Ellen.
    »Immer, wenn es

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