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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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war Branwell, aber nicht der Branwell, den ich kannte und liebte, sondern der Branwell, der viel zu viel getrunken hatte. »O nein.«
    »Er ist schon seit über einer Woche so.« Mr. Nicholls nahm meinen Schrankkoffer auf und sagte: »Lassen Sie mich Ihnen mit dem Gepäck helfen.« Ehe ich protestieren konnte, war er bereits auf dem Weg zum Haus.
    Ich versuchte, vor ihm die Tür zu erreichen. Ich fand sie verschlossen und klopfte an. Einige angespannte Augenblicke verstrichen. Ich stand auf der Schwelle und fühlte mich recht unwohl in Mr. Nicholls’ Gegenwart, während drinnen Ausbrüche ungezügelter Wut zu hören waren. Endlich ging die Tür auf, und ich schaute in Annes Augen. Ihr Gesicht war verstört, und unser kurzer wortloser Blickwechsel bestätigte mir meine Sorgen.
    Ich huschte ins Haus. Mr. Nicholls folgte mir und setzte meinen Koffer in der Eingangshalle ab.
    »Sag dem blödsinnigen Mistköter, dass er mir vom Leib bleiben soll!«, hörte ich im Esszimmer meinen Bruder wütendschreien. Meine Wangen brannten, wenn ich daran dachte, dass Mr. Nicholls das zügellose Verhalten meines Bruders aus nächster Nähe miterlebte.
    »Kann ich Ihnen sonst noch zu Diensten sein, Miss Brontë? Möchten Sie, dass ich mit Branwell spreche?«
    »Nein! Vielen Dank, Mr. Nicholls. Ich bin sicher, wir kommen zurecht. Gute Nacht, Sir.«
    Nach einigem Zögern verabschiedete sich Mr. Nicholls mit leichtem Stirnrunzeln. Anne sperrte die Tür ab. Ich erblickte Papa, der im Nachthemd müde die Treppe am Ende des Eingangsflurs herunterkam. Anne und ich eilten sofort ins Esszimmer. Im Kamin schwelten nur noch einige Reste Glut, aber der Schein einer einzelnen Kerze und die letzten Strahlen der Sonne beleuchteten die Szene, die sich meinen entsetzten Augen bot.
    Branwell hatte sich schwankend neben dem schwarzen Rosshaarsofa aufgebaut, den Rücken der Tür zugewandt. Sein rotes Haar war zerzaust, die Kleidung völlig in Unordnung. Er wedelte Emily, die unsicher und bestürzt vor ihm stand und hinter deren Röcken Flossy kauerte, mit der Faust vor der Nase herum. »Nicht einmal ein gottverdammtes Nickerchen kann man hier machen«, brüllte Branwell mit trunkener Stimme, »ohne dass diese vermaledeite räudige Töle einen anspringt und einem das ganze gottverdammte Gesicht vollsabbert!«
    »So beruhige dich doch, Branwell«, sagte Emily leise, und ihre Augen huschten kurz zu mir und bestätigten mir, wie besorgt sie war. »Flossy hat es doch nicht böse gemeint. Er wollte doch nur seine Zuneigung zeigen.«
    »Verdammt soll diese Zuneigung sein!«, knurrte Branwell, nahm ein Buch vom Esstisch und schleuderte es dem Hund an den Kopf. Flossy zuckte gerade noch rechtzeitig zurück, sodass der Schlag ihn nur seitlich traf. Beim Aufprall des Buchsstieß der Hund einen jämmerlichen Schmerzensschrei aus und rannte dann an mir vorbei durch die Tür in den Flur hinaus.
    »Branwell!«, riefen Anne und ich wie aus einem Munde entsetzt. Im gleichen Augenblick trat Papa ins Zimmer. Ich wusste, dass er im Dämmerlicht noch viel weniger sehen konnte.
    »Jetzt reicht es!«, tadelte Papa streng. »Reiß dich zusammen, mein Sohn.«
    »Halt doch den Mund, Alter!« Branwell machte einen taumelnden Schritt auf Emily zu und musste sich dabei am Tisch festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Das geht nur mich und meine Schwester und diesen verdammt dämlichen Hund an.«
    »Branwell, bitte hör auf damit«, mahnte ich, während ich mich mit pochendem Herzen auf ihn zubewegte. Ich war mir nicht sicher, was ich tun sollte, denn er war größer und stärker als ich. Und ich wusste aus Erfahrung, dass seine Körperkräfte nur zunahmen, wenn er betrunken war.
    Branwell fuhr zu mir herum und blinzelte mich überrascht aus blutunterlaufenen Augen an. »Charlotte. Wo bist du denn gewesen?«
    »In Hathersage, bei Ellen zu Besuch.« Ich hoffte, ihn durch diese ruhige Antwort abzulenken und zu besänftigen.
    »Einen Augenblick lang dachte ich, du wärst nach Belgien zurückgegangen«, nuschelte er. Seine Wut verging, und ein trunken dümmlicher Ausdruck trat auf sein Gesicht. »Seltsam, gerade neulich habe ich mit Anne darüber gesprochen. Was war es doch gleich? Ah ja, ich meinte: ›Hast du schon bemerkt, wie traurig Charlotte ist, seit sie aus Belgien zurückgekommen ist?‹ Anne sagte, das würde ich mir nur einbilden. Aber ich meinte: ›Nein, nein, unsere Charlotte ist traurig, ganz bestimmt. Lass es dir gesagt sein: Hinter ihrer biederen, ruhigen

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