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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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gestützt und gehalten.
     
    Seit meiner Rückkehr aus Hathersage war ich jedes Mal, wenn ich Mr. Nicholls den Gartenpfad heraufkommen sah, um Papa zu besuchen, rasch nach oben gegangen oder hatte mich ins Esszimmer zurückgezogen. Jetzt konnte ich ihm nicht aus dem Weg gehen.
    »Ich bin am ›Black Bull‹ vorbeigekommen«, verkündete Mr. Nicholls, während er nur mit Mühe meinen Bruder in Schach hielt, der ihm heftigen Widerstand leistete, »als er und ein anderer Herr fluchend herausstürmten und einander mit Faustschlägen traktierten. Ich hatte das Gefühl, es könnte zu einer schlimmen Prügelei kommen, und habe mir gedacht, das Beste wäre, ihn nach Hause zu bringen.«
    »Lass mich sofort los, du gottverdammter jämmerlicher Flegel!«, donnerte Branwell mit wilder Wut, während er sich kräftig, aber erfolglos bemühte, sich aus Mr. Nicholls’ Griff zu befreien, »oder ich hetze dir die Hunde auf den Hals! Ich schwöre bei Gott, das mache ich!« Obwohl mein Bruder in seiner Jugend einige Jahre lang mit den härtesten Burschen der Stadt Boxkämpfe ausgetragen hatte, war er nun schon längst aus der Übung; und trotz seiner durch den Alkohol entfachten Wut konnte er es an Körpergröße und Statur nicht mit dem viel größeren und kräftiger gebauten Mr. Nicholls aufnehmen.
    »Ich fürchte mich nicht vor Hunden«, gab dieser sogleich zurück. »Eigentlich mag ich sie sogar besonders gern.« Und zu mir gewandt sprach er, beinahe Entschuldigung heischend: »Wo möchten Sie, dass ich ihn hinbringe?«
    »Ins Esszimmer«, antwortete ich mit schamroten Wangen, während ich einen Schritt zurücktat, um die beiden ins Haus zu lassen. Jedermann im Dorf, das wusste ich, hatte bereits am ersten Tag erfahren, dass man meinem Bruder gekündigt hatte. Und dank Branwells wiederholter, trunkener Herzens-und Seelenergüsse waren nun alle gleichfalls bestens über jedes widerliche Detail seines beschämenden Verhaltens in Thorp Green sowie über seine absurden Zukunftshoffnungen unterrichtet. Mir schauderte, wenn ich das Mitleid in den Augen der Ladenbesitzer auf der Hauptstraße sah. Mein Herz tat mir weh, wenn ich bemerkte, wie die Gemeinde am Sonntag die Blicke abwandte, sobald Papa seinen Platz auf der Kanzel einnahm. Aber noch mehr schämte ich mich bei dem Gedanken, dass unser neuer Hilfspfarrer Branwells Abstieg aus so unmittelbarer Nähe mit ansah.
    Ich wusste bereits, dass Mr. Nicholls mich für eine vertrocknete, verbitterte alte Jungfer hielt, die zu unattraktiv war, als dass man sie überhaupt ansehen mochte. Mein Vater war ein fast gänzlich erblindeter alter Mann. Gab man dazu noch den Trunkenbold von Bruder hinzu, der am helllichten Tag Prügeleien anzettelte, wie musste er mich da bemitleiden, mich und den ganzen Haushalt! Wie musste er hinter unserem Rücken über uns lachen! Und doch, sagte ich mir, durfte ich nicht zulassen, dass mein verletzter Stolz Oberhand behielt. Während der Hilfspfarrer den sich immer noch windenden und fluchenden Branwell ins Esszimmer schleifte, straffte ich die Schultern und folgte den beiden, entschlossen, dass Mr. Nicholls niemals erfahren sollte, wie sehr mich seine herzlose Bemerkung beim Abendessen damals verletzt hatte. Ja, wenn es nach mir ginge, würde er bei mir niemals auch nur einen Augenblick der Schwäche erleben.
    Mr. Nicholls setzte meinen Bruder auf einem Sessel ab, wo er seinem Gefangenen, während er ihn noch immer im eisernen Griff hielt, das feste Versprechen abrang, ruhig und still sitzenzubleiben, sonst würde er ihn nicht loslassen. Branwell stieß einen weiteren Fluch aus und stimmte widerwillig zu.
    »Schurke!«, fauchte Branwell, kaum dass Mr. Nicholls seinenGriff gelockert hatte. »Wie kannst du es wagen! Ich bin der Sohn des Pfarrers, bei Gott! Ich warne dich, Nicholls! Wenn du mich je wieder so anpackst, dann lass ich dich erschießen oder nach Irland zurückschicken!«
    »Dann wollen wir beten, dass es keinen ähnlichen Anlass geben wird«, erwiderte der Hilfspfarrer, während er seinen schwarzen Rock zurechtzupfte und seinen Kragen richtete.
    »Branwell, bitte sprich nicht so unverschämt mit Mr. Nicholls«, ermahnte ich ihn.
    »Ich spreche mit ihm, wie ich will«, knurrte Branwell. »Und jetzt mach, dass du rauskommst, Nicholls! Du hast deine Christenpflicht getan. Du hast den guten Samariter gespielt und den verlorenen Sohn nach Hause gebracht. Und nun verzieh dich in deine Kirche, wo du hingehörst.«
    Plötzlich trat Emily mit besorgtem Blick ins

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