Die Geheimnisse der Patricia Vanhelsing
sich Tante Lizzy brennend für das Geheimnis, das in den Tiefen des Andensees verborgen lag.
Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb sie dem Zusammentreffen mit Dietrich von Schlichten so sehr entgegenfieberte.
Für sie war Dietrich vor allem der Nachfahre eines gewissen Hermann von Schlichten, der um die Jahrhundertwende in Deutschland gelebt und wohl einer der bedeutendsten Okkultisten überhaupt gewesen war. Das wichtigste Ergebnis seiner Studien war sein Hauptwerk, die sogenannten ABSONDERLICHEN KULTE. Von Schlichten hatte dieses Buch ursprünglich in mittelalterlichen Latein verfasst, um zu verhindern, dass Unbefugte oder allzu leichtsinnige Zeitgenossen ungehindert an das gefährliche Geheimwissen gelangen konnten, dass in diesem Buch konzentriert war.
"Schlaf jetzt", sagte Tante Lizzy. "Versuch es jedenfalls. Du siehst sehr müde aus..."
*
Ich schlief traumlos. Als ich am Morgen erwachte fühlte ich mich etwas besser. Ich zog mich schnell an, ging die schmale, gewundene Treppe hinunter und traf Tante Lizzy wenig später in der Küche. Sie hatte bereits den Tee aufgesetzt und Frühstück gemacht. 'Einer der wenigen Vorteile des Älterwerdens ist es, dass man nicht mehr so viel Schlaf braucht', pflegte sie oft zu sagen. Selbst wenn sie die ganze Nacht über den staubigen Folianten ihres Archivs gesessen und düsteren Geheimnissen in uralten Schriften nachgespürt hatte, merkte man ihr das am nächsten Morgen kaum an. So manche Jüngere konnte sie um diese Energie beneiden.
"Hast du schlafen können, Patti?", erkundigte sich Tante Lizzy.
"Ja."
"Keine Alpträume?"
"Keine Alpträume."
Ein Lächeln glitt über Tante Lizzys Gesicht. "Na, dann ist es ja gut."
Sie schenkte mir den Tee ein und dann setzen wir uns.
"Ich nehme an, Tom wird heute Abend auch kommen, wenn Professor von Schlichten uns die Ehre gibt. Er ist jedenfalls herzlich eingeladen, Patti."
"Ich werde es ihm sagen."
"Sag mal..." Tante Lizzy zögerte, bevor sie weitersprach.
Ich blickte auf.
"Ja?"
"Wir haben vor einiger Zeit über die Möglichkeit gesprochen, dass du und Tom vielleicht zusammen in eine Wohnung zieht..."
"Soweit ist es noch nicht, Tante Lizzy."
"Ich möchte nur, dass du mir dann früh genug Bescheid sagst, Patti..."
"Natürlich."
*
In der Redaktion erwartete mich ein Tag mit viel Routine. Das einzig besondere war, dass Michael T. Swann Tom und mich in sein Büro holte, um uns definitiv mitzuteilen, dass die Reise in die Anden genehmigt war. Die Bedingung war allerdings, dass wir die Hälfte der Spesen selbst übernahmen.
"Es kommt eines Tages noch so weit, dass wir dafür bezahlen müssen, dass unsere Artikel in diesem Blatt abgedruckt werden!", schimpfte Tom Hamilton etwas ärgerlich.
"Regen Sie sich nicht auf, Tom!", erwiderte Swann. "Ich weiß, dass das unbefriedigend ist. Aber machen Sie es wie mit dem berühmten Wasserglas, das je nach Sichtweise halb voll oder halb leer sein kann. Freuen Sie sich also darüber, dass die NEWS die Hälfte der Kosten trägt und Sie nicht ihren Urlaub verwenden müssen, um in die Anden zu fliegen..."
Tom atmete tief durch.
"So kann man das natürlich auch sehen", meinte er. Ich nahm seine Hand dabei und drückte sie.
Swann zuckte die Schultern.
"Mehr kann man unter den gegebenen Bedingungen einfach nicht erwarten. Vielleicht gelingt es Ihnen ja, Tom das klarzumachen."
"Ich tue mein Bestes", versprach ich.
"Wunderbar."
*
In der Mittagspause gingen Tom und ich in einen asiatischen Schnellimbiss in der Nähe der Fleet Street. Sushi-Bars nennen die sich und sind der letzte Schrei in London. Man sitzt an einer Art Tresen, auf dem auf einem Fließband asiatische Spezialitäten entlanggefahren werden und nimmt sich dann einfach, was einem schmeckt.
"Gegen ein romantisches Kerzendiner bei Antonio's kommt das nicht ganz an", meinte Tom lächelnd. Seine Stimme hatte ein dunkles, angenehmes Timbre. Ihr Klang ging mir durch und durch. Unwillkürlich begann ich zu lächeln, als Toms meergrüne Augen mich musterten.
Er legte seine Hand auf meine.
"Unser letztes Kerzendiner..."
"...ist schon viel zu lange her, ich weiß", vollendete ich.
"Aber dem kann man ja abhelfen..."
Nachdem wir gegessen hatten, gingen wir Arm in Arm durch die grauen Straßen Londons. Nebel hatte sich über die Stadt gelegt. Es war nasskalt. Aber in Toms Armen machte mir das nichts aus.
Irgendwann blieben wir stehen. Ich schlang die Arme um seinen Hals. Unsere Blicke begegneten
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