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Die Geheimnisse der Therapeuten

Die Geheimnisse der Therapeuten

Titel: Die Geheimnisse der Therapeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christophe André
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Todes die Sicht und das Fühlen meiner Großmutter zutiefst verändert hatte. Ich begriff letztlich, dass sich ändern nicht immer darin besteht, sein Verhalten zu ändern. Die Realität zu akzeptieren, wie unangenehm sie auch sein mag, kann ebenfalls zu einer wirklichen und tiefgreifenden Veränderung führen. Aber ich musste reifen und andere Erfahrungen machen, bevor ich zu dieser Einsicht gelangte.
    Etwas, was ich bei meinen Patienten versäumt habe
    Viele Jahre nach dem Gespräch mit meiner Großmutter war ich als junger Arzt mit Patienten konfrontiert, die im Sterben lagen. Auch wenn ich es heute bedaure, muss ich zugeben, dass ich in meinem Verhalten ihnen gegenüber denselben Fehler wie mit meiner Großmutter beging. Ich wollte und konnte nicht hören, dass diese Männer und Frauen bereits ihren Tod akzeptiert hatten, während ich noch um ihr Leben kämpfte. Sie hatten eine entscheidende Grenze überschritten, und dem entsprach ihr Verhalten. Ich kürzte aus Verlegenheit das Gespräch ab, wenn sie begannen, mir ihre Hoffnungen (oder ihre Verzweiflung) im Hinblick auf das anzuvertrauen, was nach dem Tode geschehen würde, oder wenn sie mich baten, mich um die Beerdigung oder ihren letzten Willen zu kümmern.
    Dennoch war ich Arzt, und wenn man diesen Beruf ausübt, muss man bereit sein, dem Tod ins Auge zu schauen. War ich nicht seit meinem Studium darauf vorbereitet worden? Hätte mich als Medizinstudent nicht der Umstand hellhörig machen sollen, dass mein erster Kontakt mit einem Menschen, nachdem ich lang und breit die Pflanzen- und Tierwelt studiert hatte, in einer Leiche bestand, die ich mehrere Monate lang minutiös sezieren musste? Doch trotz dieses rüden Entrées in das Fach übte der junge Krankenhausarzt, der ich war, allzu hastig seine therapeutische Macht aus, statt selber seine eigene Ohnmacht, diese Patienten zu retten, hinzunehmen .
    Später habe ich etwa zehn Jahre lang als Psychiater in einem allgemeinen Universitätskrankenhaus gearbeitet. In diesem Rahmen hatte ich die Chance, an einer Studie über psychologische Anpassungsmechanismen bei körperlichen Erkrankungen mitzuwirken. In meinen Gesprächen mit Edgar Heim, dem Leiter der Studie, der zwanzig Jahre älter war als ich, erklärte ich ihm, dass ich nicht verstand, warum er Wert darauf legte, das, was er »die stoische Akzeptanz« nannte, in die Liste der effizienten Anpassungsstrategien aufzunehmen. Für mich war dieses Verhalten mit der Resignation oder der Kapitulation verwandt. Trotz Heims geduldiger Erläuterungen konnte ich den Wert und Nutzen der Anpassung darin nicht erkennen.

    Das wissenschaftliche Fundament des Hinnehmens
    Es war meine Ausbildung in kognitiver Verhaltenstherapie zusammen mit dem unvermeidlichen Einfluss des Alters, die mir den Schlüssel lieferten, das Hinnehmen als mächtiges Instrument der Veränderung zu begreifen und zu praktizieren. Um dem Patienten zu helfen, sich zu ändern, bedient sich die kognitive Verhaltenstherapie zweier Hebel, die aus der Lerntheorie stammen: der operanten Veränderung und der reaktiven Veränderung.
    Die operante und die reaktive Veränderung
    Der Begriff der operanten (handlungsbezogenen) Veränderung leitet sich aus den Arbeiten der amerikanischen Psychologen E. Thorndike und B. F. Skinner in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab. Die operante Veränderung besteht darin, ein adäquateres oder effizienteres Verhalten als das gewohnte Verhalten zu finden. Ein Angstpatient eignet sich beispielsweise eine Entspannungsmethode an, um in angstauslösenden Situationen lockerer zu werden. Ein depressiver Patient lernt seine übermäßig negativen und defätistischen Gedanken durch eine Art des Sehens zu ersetzen, die näher an der Wirklichkeit und vermutlich weniger deprimierend ist als seine depressive Sicht.
    Der Begriff der reaktiven (reizbezogenen) Veränderung stammt ursprünglich aus den Arbeiten des russischen Arztes Iwan Pawlow am Ende des 19. Jahrhunderts.

    Sich an etwas gewöhnen oder sich damit arrangieren
    Auf der Grundlage seiner noch heute berühmten Experimente beschrieb Pawlow das Phänomen der Gewöhnung, nämlich dass ein Lebewesen sich schließlich an einen Reiz gewöhnt, dem es wiederholt oder dauernd ausgesetzt ist. Trotz seiner augenscheinlichen Einfachheit ist der Mechanismus der Gewöhnung in Wirklichkeit ein komplexes

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