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Die Geheimnisse der Therapeuten

Die Geheimnisse der Therapeuten

Titel: Die Geheimnisse der Therapeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christophe André
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des Therapeuten und des Patienten an, anders ausgedrückt, ihre Fähigkeit, neue Wege zu finden, das »Gelände zu ertasten« und sich für Lösungen zu entscheiden, die am adäquatesten und nützlichsten sind. Diese Arbeit geschieht in einem Geist der Zusammenarbeit zwischen Therapeut und Patient, der als aktiver Partner fungiert und in voller Kenntnis des Falles bei diesem Erforschungsprozess mitmacht, der sich durch allmähliches Herantasten vollzieht.
    Dasselbe gilt für mein Privatleben. Es anders machen heißt beispielsweise, dass ich mein Verhalten gegenüber meinen Kindern, die größer werden und schließlich erwachsen sind, allmählich anpasse, dass ich sie mit anderen Augen betrachte und anders mit ihnen spreche. Es heißt auch, die Grenzen zu berücksichtigen, die das Alter und der Körper mir auferlegen. Es heißt, auf Tennisspielen zu verzichten, weil sich die Knie melden, und es durch gemächliche Fahrradtouren zu ersetzen. Es heißt, mich einer drakonischen Diät, wenn auch nur von kurzer Dauer, zu unterwerfen, denn ich will nicht allzu lange auf die Freuden des Essens verzichten. Es heißt, mir mehr Zeit für mich zu nehmen und gleichzeitig zu versuchen, kein schlechtes Gewissen zu haben. Es heißt ebenfalls zu lernen, wie mühsam und schön es ist, die Erde im Garten umzugraben und Gemüse anzupflanzen, während ich mich bis dahin damit begnügt hatte, den Salat anzuschauen und zu essen, der wie von Zauberhand essfertig auf meinem Teller lag.

    Es hinnehmen: die Lektion meiner Großmutter
    Ich musste einen langen inneren Weg hinter mich bringen, bevor ich verstand, dass auch das Hinnehmen , also das Akzeptieren der Realität, eine Möglichkeit ist, um zu wirklicher Veränderung zu gelangen.
    Worte, die ich nicht hören wollte
    Es ist schon sehr, sehr lange her. Ich war etwa zwölf, als ich mit meiner Großmutter ein Gespräch hatte, das mir in Erinnerung geblieben ist, so sehr hat es mich überrascht und sogar schockiert. Trotz ihres hohen Alters war meine Großmutter in so guter gesundheitlicher Verfassung, dass sie allein und ohne fremde Hilfe leben konnte und gelegentlich ihre Lebensfreude zum Ausdruck brachte. Während ich sie eines Nachmittags besuchte, überraschte sie mich jedoch sehr, als sie in das Gespräch vollkommen selbstverständlich die Worte einflocht: »Weißt du, es ist jetzt an der Zeit, dass ich gehe. Ich habe gut gelebt, ich habe alles gehabt: meinen Anteil an Lebensjahren, Freuden und Leiden. Jetzt kann ich ruhig sterben, und das wünsche ich mir.«
    Vollkommen überrumpelt, wusste ich nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich fing an zu protestieren, indem ich ihr erwiderte, sie solle nicht solche Dummheiten sagen, sie werde und müsse noch lange leben und dergleichen mehr. Ich machte mir damals nicht klar, wie dumm meine Äußerungen waren. Sie verbargen nur schlecht mein Entsetzen. Ich war traurig bei dem Gedanken, dass meine geliebte Großmutter sterben könnte, und unglücklich, dass sie die Gesellschaft der Toten der meinen vorzog! Einige Zeit nach unserem Gespräch ging ihr Wunsch in Erfüllung. Sie ging heim zu ihren geliebten Verstorbenen, indem sie nach kurzer Krankheit für immer »einschlief«.
    Was ich zur damaligen Zeit nicht sah und erst nach vielen Jahren begriff, war, dass meine Großmutter im Augenblick unseres Gesprächs an einem Punkt ihrer inneren Entwicklung angekommen war, an dem sie sich mit dem Gedanken zu sterben abgefunden hatte. Die Art und Weise, wie sie mit mir darüber sprach, lässt mich denken, dass sie sich nicht widerwillig oder mit Schrecken in den Tod fügte, sondern ihn gelassen bejahte. Weit von einer Kapitulation oder einem Rückzug entfernt, markierte diese Etappe in ihrem Leben einen Wendepunkt, eine entscheidende Veränderung, die es ihr erlaubte, sich dem Ende ihrer Existenz ruhig zu nähern. Wahrscheinlich konnten sich in ihrem Denken die Lebenden fortan fröhlich mit den Toten mischen.
    Die Realität zu akzeptieren, wie unangenehm sie auch sein mag, kann ebenfalls zu einer wirklichen und tiefgreifenden Veränderung führen.
    Ich brauchte viel Zeit, um die Lektion meiner Großmutter zu verstehen. Wahrscheinlich fällt es uns in der Jugend schwer, uns vorzustellen, dass man sich ändern kann, indem man die vorhandene Situation akzeptiert. Und dennoch war deutlich, dass die Akzeptanz des

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