Die Geheimnisse der Therapeuten
besonders erschüttert von dem Ableben unserer Angehörigen und Freunde. Ich war zwanzig, als mein Vater plötzlich eines Nachts an einem Leiden starb, das heute leicht behandelbar wäre: an Bluthochdruck. Das war ein Schock. Mir bleibt die Erinnerung an einen recht jungen Mann, der mir den Sinn für Dichtung, Theater und Literatur vermittelte, aber auch die Gewohnheit, Sport zu treiben, was wir gemeinsam in den Ferien taten: Wir radelten und spielten Tennis. Ich habe erst später verstanden, was dieser plötzliche Tod bedeutete, und ich habe immer noch im Gedächtnis, was dieser Mann, der so voller Leben war, mich durch sein Beispiel gelehrt hat.
Bei meiner Mutter verhielt es sich anders: Sie starb mit 86 Jahren nach einem geistigen Abbauprozess â wahrscheinlich Alzheimer â, der schon einige Jahre vorher eingesetzt hatte. Gegen Ende ihres Lebens sagte sie jedes Mal, wenn ich sie besuchte, den Satz: »Vielen Dank für Ihren Besuch, lieber Freund.« Ihr Tod war für alle eine Befreiung, und es bleiben mir einige Jugenderinnerungen und meine Bewunderung angesichts ihres Muts, mit dem sie die Schwierigkeiten des Alltags allein bewältigte. Aber das Bild, das ich behalte, sind diese letzten Begegnungen.
Der Tod eines Onkels, eines Arztes, dem ich sehr nahe stand und der mir bei meinem Medizinstudium Tipps gab, prägte mich ebenfalls stark. Er war Atheist. Mit achtzig bekam er einen metastasierenden Krebs und nahm mir, bevor er hinfällig wurde, das Versprechen ab, ihn nicht leiden zu lassen. Ich habe dieses Versprechen gehalten und wünsche mir dasselbe auch für mich. Dieser Mann ist mir immer noch sehr gegenwärtig. Unsere häufigen Gespräche über das Leben, den Tod und die Medizin haben meine späteren Gedanken tief beeinflusst, und ich höre immer noch einige seiner Worte. All die Toten, die ich geliebt habe, sind nicht tot, denn sie leben in meinen Gedanken, Handlungen oder auf einem Foto weiter, nicht auf einem Friedhof inmitten anderer Gräber.
Die Ãrzte, die Krankenschwestern und der Tod
Ãrzte und Krankenschwestern haben eine enge Beziehung zum Tod. Für mich galt das in allen Phasen meines Lebens als Arzt.
Zunächst einmal während meiner Assistenzzeit (1950â1955); auf jeder Station war der Tod alltäglich. Es war die Zeit der groÃen Krankensäle. Wenn der Assistenzarzt morgens in den Saal kam, konnte er diejenigen, die in der Nacht verstorben waren, sofort sehen: ein Bett, von zwei weiÃen Laken verhüllt, die einen Vorhang bildeten. Auch während der Nachtdienste wurde man oft gerufen, um den Tod festzustellen oder Behandlungen vorzunehmen, die leider wenig nützten. Der Tod war alltäglich, und seine Ursachen waren so vielfältig wie unbekannt ⦠bis zur Autopsie am nächsten Morgen. Eine grausame Anekdote aus dem Jahr 1952, als ich junger Praktikant war, hat mich sehr nachdenklich gestimmt: Der Chef, der damals nur morgens kam, sagte zur diensthabenden Schwester: »Gibt es Sterbende, die ich noch einmal begrüÃen sollte?« ⦠Nach dieser kurzen Visite hörte ich ihn dann öfter sagen: »Wir werden Professor Morgagnis Meinung einholen.« Professor Morgagni war ein berühmter Anatom und hatte sich auf Autopsien spezialisiert! Tatsächlich verbarg dieser offensichtliche Zynismus die tiefe Ratlosigkeit, die wir alle angesichts der hoffnungslosen Fälle empfanden, deren Ursachen und deren Behandlung wir nicht kannten.
Die Berührung mit dem Tod war für mich besonders schmerzhaft in den Jahren, in denen ich auf der Kinderstation tätig war. Es gibt leidvolle Erinnerungen an akute Leukämien, die in wenigen Wochen zum Tode führten: Sollte man den Eltern die unausweichliche Prognose mitteilen oder ihnen noch einige Wochen Hoffnung lassen? Heutzutage sind Leukämien wie auch viele andere Arten von Krebs in der Mehrzahl der Fälle glücklicherweise heilbar. Dasselbe gilt für das akute rheumatische Fieber mit seinen dramatischen Komplikationen für das Herz und vor allem auch für die akute Lungentuberkulose oder die Meningitis, die in wenigen Wochen zum Tode führten, bis wir das »Wunder« der ersten Behandlungen mit Streptomycin erlebten. Das alles ist heute praktisch verschwunden â in weniger als einem halben Jahrhundert. Mich frappierte immer die Würde dieser jungen Patienten, ihre fehlende Todesangst, die wahrscheinlich damit zusammenhing,
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