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Die Geheimnisse der Therapeuten

Die Geheimnisse der Therapeuten

Titel: Die Geheimnisse der Therapeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christophe André
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Problem, Frau Doktor, ist, dass es mir nicht gelingt, Thibault morgens anzuziehen. Ich lebe allein. Sein Vater hat uns verlassen, als ich ihm von der Schwangerschaft erzählt habe. Laut dem Therapeuten, der Thibault seit Monaten behandelt, will er sich morgens nicht von mir trennen, denn angeblich ist er in der ödipalen Phase und spielt zu Hause den kleinen Mann. Das hat mir eingeleuchtet, ich habe selber psychotherapeutisch gearbeitet und alles gelesen, was über Kinderpsychologie geschrieben wurde. Ich bin ziemlich tolerant und kommunikationsfreudig, und die wenige Zeit, die mir neben meiner Arbeit bleibt, widme ich ihm.
    Nur muss ich ihn morgens unbedingt bis 8:30 Uhr in der Schule abliefern, damit ich nicht zu spät ins Büro komme und meinen Arbeitsplatz riskiere. Ich kann es ihm so oft erklären, wie ich will. Er bleibt stur, und ich muss ihn durch die ganze Wohnung verfolgen, damit ich ihn anziehen kann. Manchmal verliere ich die Geduld, und ich verhehle Ihnen nicht, dass ich ihm dann den Hintern versohle. Man könnte meinen, dass er nur diese Sprache versteht. Sobald er es geschafft hat, mich in Rage zu bringen, lässt er heulend alles mit sich geschehen, und ich bekomme Schuldgefühle und weiß nicht, wie ich mir das verzeihen soll.
    Mir ist klar, dass ich konsequent sein muss und mir sein Verhalten nicht bieten lassen darf, dass es irgendwann vorbei ist und er jetzt eine Krise durchmacht. Aber inzwischen habe ich jeden Morgen Angst, ich fürchte den Konflikt, der unausweichlich Tag für Tag ausbricht. Ich habe Angst, was unsere zukünftige Beziehung angeht, und sage mir: Wenn er jetzt schon so ist, dann wird die Pubertät unerträglich. Wissen Sie, es ist schwierig, sein Kind allein großzuziehen, und wenn ich manchmal mit den Nerven am Ende bin, denke ich, dass er mein Leben ruiniert und mich nicht liebt; ich ertappe mich sogar dabei, dass ich ihn hasse. Was mich stört, ist nicht so sehr, dass er sich lautstark behauptet, es ist dieser Krieg des Neinsagens, der uns unglücklich macht!«
    Die Gesellschaft, Richter des Nein
    Oh! Ich höre förmlich, was Sie denken, liebe Leser: So viel Theater und Emotionen für nichts und wieder nichts! Was Thibault angeht, würden etliche Menschen sagen, dass hier ein Problem mangelnder Autorität vorliegt, dass es sich um ein Kind mit einem aufsässigen Temperament oder einer zu durchsetzungsstarken Persönlichkeit handelt, um einen polymorph Perversen, eine Nervensäge, einen Verhaltensgestörten oder ein Kind mit einer schlechten Anlage, einen schlechten Kerl, der im Gefängnis landen wird …. Die Äußerungen über die Mutter könnten so lauten: Früher wusste man, solchen Kindern Benehmen beizubringen, eine Tracht Prügel hat noch nie jemandem geschadet (die anderen kommen mit der Justiz in Konflikt); eine Mutter sollte nicht arbeiten gehen, daran hätte sie vorher denken sollen; sie muss seltsame Beziehungen zu Männern haben, besonders zu ihrem Vater … Und ich erspare Ihnen die soziologischen, genetischen, biologischen oder sonstigen Hypothesen und das Gerede von den Belastungen, denen dieser arme Engel ausgesetzt war, dessen Ich schon im Mutterleib unter der Inkompetenz und Unzuverlässigkeit der neuen Patchwork-Familien und des Elternseins im dritten Jahrtausend zu leiden hatte.

    Das Nein, das die elterlichen Bande zerreißt
    Soll ich Ihnen etwas sagen? Ich habe dasselbe gedacht, und ich war sogar pikiert, dass diese Frau es wagte, mich zu behelligen, mich, die ich Spezialistin für die Psychopathologie des Kindes- und Jugendalters war, Oberärztin und so weiter und so fort. (Wenn sie diesen Beitrag heute liest und sich wiedererkennen sollte, bitte ich sie demütig um Entschuldigung!) Nur dass ich dieser Mutter keine Antwort und keine Hilfe geben konnte und dass sie völlig recht hatte: Auch wenn es ihr und ihrem Sohn, psychologisch gesehen, gut ging, gab es keinen Zweifel, dass ihre affektive Kommunikation unter diesem Konflikt litt. Feindseligkeit, Schuldgefühle und Angst zermürbten heimlich, still und leise die Bindung zwischen ihnen, und was das anging, kannte ich eine große Anzahl von psychiatrischen Störungen, von denen man annimmt, dass sie infolge des Reißens dieser Bindung entstehen (J. Bowlby, M. Ainsworth, B. Cyrulnik, B. Pierrehumbert, N. und A. Guedeney).
    Ganz gleich welche Schule und welche biologischen, genetischen, psychoanalytischen,

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