Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
Eidechse!«
»Igitt! Sieht eher aus wie Eidechsen-Dörrfleisch.«
Tyler wedelte ihr damit vor dem Gesicht herum wie ein Vierjähriger.
»Hör auf!«
Zum Glück war die Eidechse schon so lange tot und vertrocknet, dass sie fast gar nicht mehr stank, aber anfassen wollte Lucinda sie dennoch nicht. Sie sah zu, wie Tyler die Mumie weglegte und das zusammengeknüllte Papier zu durchwühlen begann. »Der Rest sieht wie ein Haufen alter Pflanzen aus«, sagte er und hielt eine Knolle hoch, an deren Wurzeln noch winzige Krümel trockener Erde hingen. »Und Samen in Gläsern – auf dem klebt ein Zettel: ›Unbekannte Sarracenia‹.« Während Tyler eifrig weiterkramte, kam ihr plötzlich ein Bild ins Gedächtnis: Als ganz kleiner Junge hatte Tyler immer die frisch geöffnete Müslischachtel nach einem Überraschungsspielzeug durchwühlt und ihre Mutter damit zur Verzweiflung gebracht.
Schütt es doch um Himmels willen in eine Schüssel! Nimm deine schmutzigen Hände da raus!
Tyler warf Lucinda etwas zu, einen Stapel Briefe mit einem alten Gummiband außen herum, das allerdings riss, als sie die Briefe auffangen wollte. Sie verteilten sich über den ganzen Boden.
|43| »Tolpatsch«, sagte er nur, was sie umso wütender machte. Sie hob einen Brief auf und las verblüfft, was darauf stand.
»An Frau Doktor Grace Goldring«,
las sie vor. »Sag mal, wusstest du, dass Gideons Frau einen Doktortitel hatte?«
Tyler schüttelte den Kopf. »Hier sind größtenteils Samen drin«, sagte er enttäuscht. »Noch irgendein pulveriges Zeug von Pilzen und zwei Käfer in Reagenzgläsern.«
»Sie war also Biologin«, sagte Lucinda beeindruckt. »Eine Naturwissenschaftlerin.«
Urplötzlich hielt Tyler inne, die Hände tief im Papier vergraben, und im ersten Augenblick dachte Lucinda, die giftige Spinne, vor der sie sich die ganze Zeit schon fürchtete, hätte ihn gebissen. Da hörte sie es auch: Im Schloss ihrer Zimmertür wurde ein Schlüssel gedreht.
Lucinda sah Tyler an, der ihren Blick mit entsetzten Augen erwiderte. »Kleinen Moment!«, schrie Lucinda. »Nicht reinkommen!«
Tyler stopfte alles, was er herausgeholt hatte, in die Holzkiste zurück. Lucinda raffte hektisch die Briefe zusammen, wobei sie in ihrer Hast mehrere fallen ließ, doch es war zu spät: Die Tür flog auf.
Mrs. Needle stand im Eingang, schmal wie ein erhobener Finger. Ihre Augen weiteten sich, als sie die Kiste und ihren Inhalt auf dem Fußboden sah, doch ansonsten blieb ihr Gesicht ungerührt und maskenhaft. »Das hätte ich mir denken können. Der erste Tag, und schon macht ihr zwei Scherereien.« Über die Schulter rief sie: »Colin!«
Ihr Sohn kam herein. Der Junge, der gerade eine schmerzhafte Drachenschleimverbrennung erlitten hatte, sah tatsächlich so unversehrt aus, wie seine Mutter behauptet hatte. Als er ins Zimmer trat, warf er Lucinda einen Blick zu, von dem sie hätte schwören können, dass er Verlegenheit ausdrückte.
|44| »Sie haben uns eingesperrt!«, sagte Tyler vorwurfsvoll.
»Und du bist nicht nur ausgebrochen, du musst überdies eine hochgefährliche Kletterpartie unternommen haben, um hierherzugelangen«, versetzte Mrs. Needle bissig. »Aus dem Fenster zu steigen! Ist dir klar, wie leichtsinnig das ist?« Sie blickte auf die Kiste. »Und was ist das?« Dann sah sie die Öffnung in der Decke. »Unverbesserlich. Erst wenige Stunden wieder im Haus, und gleich brichst du irgendwo ein und stöberst in Sachen herum, die dir nicht gehören.« Sie schüttelte den Kopf. »Colin, sammele das alles ein und bring es auf mein Zimmer.«
Colin hatte sich bereits an die Arbeit gemacht und fragte: »Die Eidechse auch?« Er klang nicht sonderlich begeistert.
»Ja, natürlich die Eidechse auch. Weiß der Himmel, was das für eine wichtige wissenschaftliche Probe ist.« Mrs. Needle seufzte. »Was euch angeht, bin ich sicher, dass Gideon morgen früh ein Wörtchen mit euch zu reden hat. Tyler, zurück auf dein Zimmer!«
»Sie sind nicht meine Mama«, sagte er leise, aber ausnahmsweise verzichtete er darauf, sich direkt zu widersetzen. Colin geleitete ihn in sein Zimmer hinüber.
Toll,
dachte Lucinda, als Mrs. Needle die Tür hinter ihr abschloss. Unglücklich warf sie sich aufs Bett. Am liebsten hätte sie mit den Füßen gestampft wie ein zorniges Kleinkind.
Schon haben wir wieder Ärger am Hals.
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5
NICHT EINGELADEN
C olin war das ganze Jahr über sehr darauf bedacht gewesen, sich von den Drachen fernzuhalten. Zu Recht, wie der Vorfall mit
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