Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
Aus dem Nichts!«
Stillman verdrehte die Augen. »Prima. Ich hatte ohnehin gerade vor zu fahren, schließlich wird das alles bald mir gehören. Kommen Sie, wir müssen noch diesen Schwachkopf Dankle einsammeln und ihn zum Arzt bringen.« Stillman sah Lucinda mit einem Achselzucken an. »Ich habe ihn zufällig getroffen. Mein Gott, hat der ein Theater gemacht! Man hätte meinen können, ich hätte ihm ein Loch in die Brust geschossen und nicht bloß eine harmlose Fleischwunde in seinen dicken Arm.«
Lucinda konnte Gideon nicht länger festhalten, denn er war glitschig wie ein Otter. »Bitte, Mr. Stillman, bitte gehen Sie nicht weg!«
Er schüttelte ungerührt den Kopf. »Du verstehst das nicht, kleines Fräulein. Es ist nicht so, dass andere Leute mich benutzen, um zu bekommen, was sie wollen –
ich
bin es, der bekommt, was er will. So funktioniert das.« Er wandte sich Cater zu. »Überlassen wir diese Leute ihrer … Gartenarbeit.«
Ed Stillman und sein Leibwächter drehten sich um und gingen. Nur im sporadischen Licht der Blitze war zu erkennen, dass sie auf das dunkle Haus zuschritten.
|341| »Nein!«, schrie Lucinda. Gideon hatte mittlerweile die Hand über ihrem Gesicht und drückte so fest, dass er ihr fast die Nase brach. »Sie dürfen uns nicht so im Stich lassen! Das dürfen Sie nicht!«
Aber nur das Gewitter gab ihr Antwort.
|342|
38
COLINS SCHLAUER PLAN
E s gab auf der Welt nur noch Colin, den Mantikor und den flammenden Himmel. Mit starrem Blick tappte das Ungetüm auf ihn zu. Das menschenähnliche Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck, eine runzlige Ledermaske mit weit aufgerissenem Rachen, in dem er jeden einzelnen Reißzahn erkennen konnte. Der Geruch aus der Nähe traf Colin wie ein Faustschlag. Statt wegzurennen brach er zusammen wie ein alter Stuhl. Schon legte sich der ungeheure Schatten auf ihn und erstickte jedes Hoffnungsfünkchen mit diesem furchtbaren sauren Geruch. Das war das Ende …
Der Mantikor trat über ihn hinweg, und wieder ergoss sich der Regen auf Colin, wieder hatte er den freien Himmel über sich. Aber wie … was … wo …?
|343| Er lag da und wartete, leer wie ein aufgerissener Sack, und im Mittelpunkt seines wilden Gedankenwirbels tauchte die Frage auf, ob das Monster wohl vorhatte, mit ihm zu spielen, bevor es ihn tötete, wie eine Katze mit einer Maus. Als er nach einer ganzen Weile immer noch keine andere Berührung spürte als die des Regens, schlug er vorsichtig die Augen auf.
Colin drehte langsam seinen im Schlamm liegenden Kopf und sah mit ungläubigem Staunen, dass der Mantikor sich von ihm fortbewegte und schwankend auf die Kiesauffahrt trat, weniger wie ein beutemachendes Raubtier, sondern eher wie ein schlingerndes Schiff im Sturm. Er bog ab und machte ein paar Schritte auf das hintere Ende des Hauses zu, dann wurde er langsamer, blieb stehen und begann heftig zu zittern, vom Schwanz zum Kopf und wieder zurück, dass es aussah, als würden an jedem Ende unsichtbare Kräfte ziehen. Er geriet ins Taumeln, verlor das Gleichgewicht und brach am Boden zusammen, wo er zuckend und mit den Beinen stoßend liegen blieb. Colin dachte gar nicht daran, sich zu bewegen. Er blieb liegen, spähte durch die zusammengekniffenen Augen und hielt den Atem an. Wie er befürchtet hatte, stellte sich das Ungetüm wieder auf die Beine und tat ein paar wacklige Schritte, bevor es sich gefangen hatte, doch statt sich zu ihm umzudrehen, setzte es seinen trägen, leicht unsicheren Gang zur Lücke zwischen dem Hausende und den nächsten Nebengebäuden fort. Wo wollte es hin? Das Monster schien irgendeinem inneren Zwang zu gehorchen, der es vorantrieb, solange die Kräfte reichten.
Während es in der Dunkelheit verschwand und Colin tief durchatmend dalag, entdeckte er, dass das Kribbeln, das er an Füßen, Beinen und Händen fühlte, keineswegs der Schlamm war, sondern eine Heerschar von Schlangen, Fröschen, Würmern und anderen kriechenden und hüpfenden Tieren, die alle der Bahn des torkelnden Mantikors folgten.
|344| Er sprang auf und schüttelte sich das Kleingetier von Kleidung und Rucksack.
Nichts wie weg hier,
dachte er,
und zwar so schnell wie möglich
. Sein Herzschlag hatte sich einigermaßen wieder beruhigt, und ihm wurde bewusst, dass die anderen Mantikore ebenfalls jederzeit auftauchen konnten.
Aber wie kam dieses Ungeheuer hier in diesen Teil der Farm? Konnte ein Blitzeinschlag irgendwie die Schlösser des Mantikorenkäfigs entriegelt haben, oder hatte jemand die
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