Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
herunterzuspringen. Sie krallte sich im Bewusstsein der Drachin fest, während diese unbeholfen flatternd eine Spirale beschrieb und äußerst unsanft auf der Galerie im Obergeschoss aufkam. Sie spürte Destas Verzweiflung in ihrem eigenen Herzen, doch sie durfte auf gar keinen Fall loslassen.
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Jetzt hol dir Ragnar! Heb ihn hoch! Bring ihn zu mir!
Desta leistete die verzweifelte Gegenwehr eines verwundeten Tieres, aber was sie auch tat, sie konnte Lucindas Kontrolle nicht abschütteln. Sie sprang auf das Geländer und schwang sich dann in die Luft, um mit zitternden Flügeln durch den Stall zu segeln. Einer der drei Amigos blickte auf und schrie eine Warnung, aber Desta stieß jäh nach unten und erwischte Ragnar an den Schultern seines dicken weißen Schutzanzugs, dann hob sie ihn vom Boden ab und flog mit ihm zum offenen Tor des Reptilienstalls hinaus. Die junge Drachin hatte die Spannweite eines kleinen Flugzeugs, aber Ragnar hochzuheben fiel ihr trotzdem schwer. Der Hüne wehrte sich natürlich wie wild, und nach wenigen Metern musste Desta ihn draußen vor dem Stall fallen lassen.
Hol ihn dir wieder!
Lucinda durfte sich nicht gestatten, daran zu denken, welche Schmerzen sie Ragnar zufügte und natürlich auch diesem schönen, einmaligen Tier.
Pack ihn! Bring ihn mir!
Der Wikinger war schon im Begriff, in den Stall zurückzueilen, aber Desta schnappte ihn sich von hinten an dem verstärkten Kragen seines Schutzanzugs und schlug dann so kräftig mit den Flügeln, dass sie ihn binnen Sekunden zehn, zwanzig, dreißig Meter hoch in die Luft gehoben hatte. Ragnar sah ein, dass jeder Widerstand zwecklos war, und hielt jetzt still. Ja, er packte sogar eines der Drachenbeine und nahm etwas Gewicht von den Klauen, die sich bestimmt schmerzhaft durch das dicke Tuch in sein Fleisch bohrten.
Entschuldige, Ragnar,
dachte Lucinda, aber natürlich konnte er ihre Gedanken nicht wie die Drachin hören. Sie wollte jetzt einfach, dass der Albtraum ein Ende nahm, so oder so.
Entschuldige, Desta, entschuldige bitte!
Ein harter Stoß an die Stirn holte ihre Aufmerksamkeit |368| wieder in die Wirklichkeit des Gartens und des Gewitters zurück. Desta und Ragnar verschwanden plötzlich vor ihrem inneren Auge. Ihr Großonkel Gideon unternahm den nächsten Versuch, sie von sich zu stoßen, dabei klapperte er heftig mit den Zähnen, als wollte er etwas sagen, doch seine Augen waren so leer wie die einer Kleiderpuppe. Mit einer fuchtelnden Hand traf er sie so hart am Kinn, dass sie schon dachte, er habe ihr einen Zahn ausgeschlagen, dann schleifte er sie durch den Matsch, während es über ihnen infernalisch donnerte und blitzte.
Ein Knäuel aus Armen, Beinen und Flügeln fiel neben ihr fauchend und schimpfend vom Himmel. Ragnar rollte außer Reichweite der schlagenden Drachenklauen und sprang abwehrbereit auf, um sich zu verteidigen, falls Desta erneut angriff. Der Schlangenkopf der jungen Drachin peitschte hin und her und zischte. Als sie Lucinda erblickte, wich sie erschrocken zurück, als könnte sie das Möhrenmädchen vor ihr am Boden und die brutale Gebieterin in ihrem Kopf, die sie gezwungen hatte herzukommen, nicht zusammenbringen. Für einen Sekundenbruchteil schlug Lucinda der Zorn des Tieres so heftig entgegen wie die Hitze aus einer geöffneten Backofenklappe, so dass sie schon meinte, Desta werde einfach auf sie zuspringen und ihr den Kopf abbeißen.
Möhrenmädchen!
Die Gedanken knallten ihr um die Ohren wie eine Schimpfkanonade.
Möhrenmädchen böse! Weh getan!
Desta schwang sich mit lautem Flügelschlag in die Luft und flog über das Farmhaus hinweg. Noch einmal erschien sie kurz im grellen Licht eines Blitzes weiter hinten am Himmel, dann war sie wieder verschwunden.
Ragnar kam angetaumelt, fiel auf die Knie und umklammerte Gideon mit seinen starken Armen. Der Herr der Farm gab sich zwar immer noch nicht geschlagen, war aber jetzt so |369| hilflos wie ein kleines Kind in den Armen seines Vaters. »Was war das?«, herrschte der Nordmann Lucinda mit einer Stimme an, die vom Schreien ganz heiser geworden war. »Hast
du
mir diesen Würmling auf den Hals gehetzt?«
»Wir sind in größter Not!« Kurz erzählte sie ihm, so viel sie in der Eile konnte. »Du musst Colin helfen! Und Simos!«
Der Wikinger schaute auf das Treibhaus und verzog das Gesicht. »Beim Blute Balders, das ich das Hässlichste, was ich je gesehen habe.« Er drehte sich wieder zu Lucinda um. »Das eine Mal hat Master Needle eine gute Idee
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