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Die Geheimnisse Der Tinkerfarm

Die Geheimnisse Der Tinkerfarm

Titel: Die Geheimnisse Der Tinkerfarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams , Deborah Beale
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gehabt: dieses verfluchte Gewächs anzuzünden.«
    »Was?« Vor lauter Gerangel mit Gideon hatte sie gar nicht richtig begriffen, was Colin vorgehabt hatte. Jetzt wand sich der alte Mann wieder in Ragnars Armen, als ob die kurze Denkpause seine Entschlusskraft gestärkt hätte.
    »Ich bitte um Verzeihung«, sagte der Nordmann.
    »Wie?« Lucinda war so erschöpft, dass sie gar nichts mehr verstand. »Wofür?«
    »Nicht dich, Lucinda.« Er hob seine riesige Faust und versetzte Gideon einen kurzen Schlag auf den Hinterkopf. Der alte Mann sackte zusammen und blieb liegen.
    »Ich gehe mir schnell besorgen, was ich brauche, um diesem Dämon den Garaus zu machen«, sagte Ragnar und eilte zum Farmhaus. »Keine Angst!«, rief er über die Schulter. »Ich komme gleich wieder.« Im auffrischenden Wind drosch der Regen fast waagerecht auf sie ein.
    Von Gideon befreit, kroch Lucinda über den nassen Boden zu Colin, der sich schon lange nicht mehr rührte und stumm und still in seinem Netz aus Pilzfäden lag. Sie zog an dem Metallpfosten in seiner Hand, doch obwohl sie die weißen Fädchen einzeln zerreißen konnte, wuchsen darauf sofort mehrere neue an seiner Stelle, und gebündelt bekam sie die Dinger |370| nicht kaputt. Keinen Kilometer entfernt schoss ein Blitz vom Himmel und schlug in den Gipfel eines nahen Hügels ein, und gleichzeitig trieb der heulende Wind eine weitere schwarze Wolkenwand wie eine Dampfwalze heran.
    Colins Augen waren trübe, als er sie aufschlug. »Lass mich nicht sterben«, bat er sie. »Bitte, lass mich nicht sterben. Es tut mir leid, dass ich es genommen habe. Wirklich!«
    Sie hatte keine Ahnung, was ihm leid tat, und es war ihr auch egal. »Ich will dir ja helfen.« Ihre nassen Finger glitten immer wieder von den Fasern ab. »O Gott, ich versuch’s doch, Colin!«
    »Zurück, Mädchen!« Ragnar kam wieder angestürmt, in jeder Hand eine große, schwere Mostflasche schwingend. Er stellte die beiden Flaschen ab und wand dem vor Schmerz aufschreienden Colin mit Gewalt den Metallpfosten aus der Hand, wobei mehrere hundert Pilzfasern mit lautem Knall zerrissen.
    Ragnar richtete sich auf, nahm kurz Anlauf und schleuderte den Zaunpfosten auf das Treibhaus. Flatternd flog der Pfosten mit dem angehängten Kabel durch die Luft wie eine riesige Nadel an einem ebenso riesigen Faden, doch eine kräftige Bö blies ihn zur Seite, und er fiel mehrere Meter vor dem Wall aus toten und sterbenden Tieren zu Boden, der sich am Fuß des Glashauses angehäuft hatte.
    »Hol’s die Götter!«, fluchte der Nordmann. »Ich muss näher heran, aber dann kann mich der Dämon genauso erwischen, wie er Simos erwischt hat, es sei denn, ich schaffe es, ihn anzustecken. Das würde mir, glaube ich, etwas Luft verschaffen.« Er entkorkte die beiden großen Flaschen. Der Geruch von Benzin wehte Lucinda an. Ohne auf Colins Schmerzensschrei zu achten, riss Ragnar ihm einen nassen Hemdsärmel ab und stopfte diesen in den Flaschenhals. Dasselbe machte er mit dem anderen Ärmel, quittiert von einem schwächeren Schrei. Colin wirkte der Ohnmacht nahe.
    |371| »Hast du Feuer?«, fragte Ragnar Lucinda. »Oder irgendwas, womit ich Feuer machen kann?«
    Sie starrte ihn begriffsstutzig an, bevor sie den Kopf schüttelte. Sie suchte in Colins Taschen; er litt solche Qualen, dass er es kaum zu bemerken schien. »Er auch nicht«, erklärte sie.
    Ragnar lächelte grimmig. »Dann habe ich keine Wahl. Ich muss es wagen, mich durch diese krallenden Dämonenfinger zu schlagen. Wenn Simos es nicht geschafft hat, werde ich es auch nicht schaffen, aber ich muss es versuchen.« Er tätschelte ihr mit seiner nach Benzin riechenden Hand die Wange. »Ich bitte dich um Verzeihung, Lucinda.«
    Sie zuckte zusammen. »Willst du mich schlagen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bitte um Verzeihung, weil ich mein Todeslied in deiner Sprache nicht gut singen kann, Lucinda Jenkins. Trotzdem muss es gesungen werden, damit die es hören, die immer lauschen, und es heißt, die Götter verstehen alle Zungen.« Er stellte die Flaschen neben ihr ab und schritt durch den Regen auf das Treibhaus zu. »Ich singe es jetzt zum zweiten Mal«, rief er ihr über die Schulter zu. »Hoffen wir, dass es sich abermals nicht erfüllt!«
    Lucinda wusste nicht, was er damit meinte.
    Das widernatürliche Gewächs in dem alten Treibhaus hatte schon längst alle Scheiben herausgebrochen und quoll aus jeder Öffnung seines rostigen Metallkäfigs. Seine Spitzen rankten sich zehn Meter und höher

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