Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
Aber was würde aus dieser Farm werden, |66| wenn … wenn dir etwas zustoßen sollte? Ein Unfall vielleicht? Bevor die Kinder so weit sind? Bist du dir sicher, dass du wirklich zum Anwalt gehen und alles abändern willst, ohne noch ein Weilchen darüber nachzudenken?«
Gideon klang belustigt, aber nicht heiter. »Ich
habe
nachgedacht, Patience. Genau deshalb will ich auch nicht länger warten. Die Kinder hätten alle Hilfe, die sie bräuchten: Simos würde sich um die Tiere und das Land kümmern und du wärst für das Geschäftliche zuständig. Und selbstverständlich werden du und Colin hier immer ein Wohnrecht haben, egal was passiert. Ich kann mich doch auf deine Hilfe verlassen, wenn so ein Fall eintreten sollte, nicht wahr, Patience?« Lucinda meinte, eine gewisse Schärfe in seiner Stimme zu hören, als ob er sie einer Prüfung unterzog. Wovon redeten sie eigentlich? Sie wurde nicht daraus schlau. Waren sie und Tyler die Kinder, um die es ging? Und warum ein Anwalt?
»Natürlich.« Mrs. Needles Antwort kam sehr rasch. »Natürlich hättest du … hätten sie meine Hilfe, Gideon. Ich möchte hoffen, dass sich das mittlerweile von selbst versteht.«
»Gewiss, das versteht sich von selbst.« Gideon klang zufrieden. Er räusperte sich. »Aber bevor wir die Einzelheiten besprechen, brauche ich ein Glas Wasser. Meine Kehle ist knochentrocken.«
»Ich hole es dir«, sagte Mrs. Needle, und ihr Stuhl scharrte über den Boden. Lucinda hörte die Schritte der Haushälterin und begriff, dass ihr nur Sekunden blieben. Sie sah sich um, doch es gab kein Versteck in der Nähe. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich umzudrehen und den Flur in die Richtung zurückzulaufen, aus der sie gekommen war.
|67| Lucinda hörte erst auf zu laufen, als sie die Eingangsdiele erreichte, wo sie sich auf einen der alten Samthocker warf, die an den Wänden standen. Japsend lauschte sie, ob sie vielleicht verfolgt wurde, doch eine halbe Minute lang hörte sie nichts außer ihrem eigenen hämmernden Herzen. Schließlich konnte sie wieder klar denken.
Er muss von diesem Haus gesprochen haben,
das wurde Lucinda jetzt klar.
Von dieser Farm. Davon, was geschehen soll, wenn er stirbt. Die Kinder – das müssen wir sein!
Sie konnte es kaum fassen, als ihr langsam klar wurde, was das bedeutete. Was für eine Riesenüberraschung!
Wir sollen eines Tages diese Farm bekommen.
Das und nichts anderes musste Onkel Gideon gemeint haben. Ein Irrtum schien nicht möglich zu sein. Aber wie alles Wichtige, was hier geschah, hatten sie es nur durch Zufall oder Spionieren erfahren, durch das Belauschen geflüsterter Unterredungen in abgelegenen Zimmern.
Aber was hatte das zu bedeuten? Hatte er ihnen wirklich die ganzen Patzer verziehen, die sie sich geleistet hatten?
Das heißt, die Drachen – Desta, Meseret – und die ganzen anderen Tiere werden irgendwann uns gehören.
Lucinda war auf einmal ganz aufgeregt.
Uns!
Was Tyler wohl sagen würde, wenn sie ihm das erzählte?
Lucinda musste zwei komplizierte Tore öffnen, passieren und hinter sich wieder verriegeln und hatte auf ihrem langen Weg viel Zeit zum Nachdenken. Als sie schließlich den Reptilienstall erreichte, war ihre erste Aufregung daher schon ein wenig abgeklungen.
Und wenn jetzt etwas geschah und sie und Tyler die Tinkerfarm eines Tages tatsächlich erbten? Die Größe der Vorstellung |68| überwältigte sie aufs neue. Dann hätten sie nicht bloß eine riesige Farm zu führen, obwohl das allein schon eine kolossale Aufgabe war, zumal für Kinder in ihrem Alter. Es waren auch gar nicht mal die vielen verschiedenen mythischen Tiere, die ihr Sorgen machten, so phantastisch und gefährlich sie auch waren: Lucinda hatte genug Erfahrung mit ihnen gesammelt, um zu wissen, dass diese Aufgabe zu bewältigen war (wenn auch natürlich nur mit viel Arbeit und Geld). Nein, was ihr plötzlich Angst einjagte, war die Erkenntnis, dass derjenige, der die Farm von Gideon erbte, damit auch das gesamte Farmpersonal übernehmen würde, denn Gideon Goldrings Hof war auch ein Asyl für aus der Zeit gefallene
Menschen,
nicht nur Tiere. Jeder einzelne Bewohner der Farm außer Gideon selbst stammte aus einem anderen Land und einem anderen Jahrhundert, einige wie Haneb, Oola und Walkwell sogar aus fernster Vergangenheit. Gideon hatte sie alle in einem Moment, als sie den sicheren Tod vor Augen gehabt hatten, aus ihrer ursprünglichen Zeit und Umgebung gerissen, weil er hoffte, auf die Art den Fluss der Zeit am
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