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Die Geheimnisse Der Tinkerfarm

Die Geheimnisse Der Tinkerfarm

Titel: Die Geheimnisse Der Tinkerfarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams , Deborah Beale
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und kämpfte mit den Tränen. Das ganze Jahr hatte sie sich so darauf gefreut, hatte so viele langweilige Unterrichtsstunden durchgestanden, weil sie wusste, dass dies hier auf sie wartete, dass sie eines Tages wieder etwas ganz Besonderes sein würde: Lucinda, die Drachenversteherin! War denn alles nur Zufall gewesen, pure Einbildung?
    »Nicht traurig sein, Miss«, sagte Haneb. »Sie sind nicht freundlich. Sind Drachen. Aber die Kleine …« Er zögerte. »Die Kleine … sie hat ein Geheimnis.«
    Lucinda zog die Nase hoch und wischte sich schnell die Augen. Sie schämte sich, dass Haneb ihr Selbstmitleid sah. »Ein Geheimnis?«
    »Wie sie einen lieber mag. Sich anfassen lässt. Freund wird.«
    Lucinda hüpfte das Herz. Ragnar hatte ihr einmal erzählt, dass Haneb mit Meseret und Alamu auf die Tinkerfarm gekommen war, als die beiden noch kleiner gewesen waren als Desta jetzt, dass sie alle zusammen aus dem alten Vorderen Orient stammten. Wollte er ihr jetzt endlich das Geheimnis verraten, wie man sich mit ihnen verständigte? Zaubersprüche? Besondere Handbewegungen? »Ja, Haneb, sag’s mir! Bitte!«
    Der Tierpfleger sah kurz zu Desta hinüber, dann wandte er sich Lucinda zu, aber wie immer nur halb, und blickte sie aus den Augenwinkeln an. »Sie … sie frisst gern Möhren.«

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    8
EIN ANTIKES MÖBELSTÜCK
    D ieses Jahr passierten auf der Farm echt komische Sachen, das merkte Tyler. Zum Beispiel hatte Lucinda zufällig ein Gespräch zwischen Gideon und Mrs. Needle belauscht, in dem es darum ging, was geschehen sollte, wenn er starb. Ihr Großonkel hatte sich angeblich für eine Regelung ausgesprochen, nach der Tyler und seine Schwester die Farm erben würden! Und Mrs. Needle hatte dem tatsächlich zugestimmt oder sich zumindest den Anschein gegeben, aber Tyler glaubte nicht, dass das so glatt über die Bühne gehen würde, falls Gideon wirklich etwas zustieß: Die Hexe würde ganz gewiss nicht darauf verzichten, alles zu tun, um sich die Farm für ihren Sohn Colin unter den Nagel zu reißen.
    Doch wenn sie Gideon Goldrings Entscheidung nicht ändern |73| konnte, was konnte Patience Needle dann tun? Rechtlich existierte sie gar nicht in diesem Jahrhundert, so dass sie nicht einfach hingehen und ihn verklagen konnte.
    Tyler hatte sich auch Gedanken darüber gemacht, was Colin wirklich in der Bibliothek trieb. Tyler hatte Gideon natürlich erzählt, er hätte Grace’ Medaillon dort gefunden, aber gerade jetzt, da Gideon sowieso so wenig Leute für die ganze Arbeit auf der Farm hatte, würde er da tatsächlich einen gesunden jungen Burschen monatelang in die Bibliothek setzen, nur für den Fall, dass aus heiterem Himmel noch ein Medaillon auftauchte? Und wieso hatten sie von Büchern gesprochen? Was hatte Gideons verschwundene Frau mit Büchern zu tun?
    Das Medaillon war durchaus nicht einfach so aus dem Nichts gekommen, aber wenn Tyler das verriet, musste er das Geheimnis des Kommodenspiegels preisgeben. Dieser war, wie er entdeckt hatte, der Durchgang zu einer anderen Version der Tinkerfarm, einem Ort, wo Gideons Frau Grace mit ziemlicher Sicherheit heute noch gefangen saß.
    Tyler ärgerte sich. Ein paar kleine Lügen hatten alles total verkompliziert. Das war unfair.

    Tyler biss in sein Erdnussbutterbrot und breitete das Octavio-Material, wie er es nannte, auf dem Bett aus: das wenige, was er von den Aufzeichnungen und Tagebüchern des großen Erfinders im letzten Sommer hatte retten können und soeben aus seinem Versteck geholt hatte, einen Stapel eingerissener, wasserfleckiger und von Mäusen angenagter Papiere, der so klein war, dass er in eine alte Zigarrenkiste gepasst hätte. Es war das erste Mal, dass er bei diesem Besuch die Gelegenheit hatte, die Papiere durchzuschauen, und er fragte sich, ob er |74| diesmal mehr verstehen würde. Er hatte sich im vorigen Schuljahr bemüht, im Unterricht besser aufzupassen, vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern und Mathe, aber die Sachen, über die sich Octavio Tinker in seinen Tagebüchern ausließ – »Kristallometrie« und »dipolare Kopplung« –, waren in Mr. Ortolanis Geowissenschaftsunterricht für die sechste Klasse einfach nicht drangekommen.
    Octavio schrieb in seinen frühen Aufzeichnungen ständig über die Notwendigkeit, ein Gerät zu erfinden, mit dem man sich in der Verwerfungsspalte kontrolliert bewegen konnte. Später, das wusste Tyler, hatte Octavio so ein Gerät tatsächlich erfunden (anscheinend mit Hilfe Gideon Goldrings) und es

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