Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
am alten Treibhaus vorbei zu den äußeren Gärten und der Bibliothek führte. Tyler spürte einen kurzen Stich der Eifersucht. Lucinda war doch nicht diesen Colin Needle besuchen gegangen, oder? Er bedankte sich bei Oola und trollte sich in die Richtung, die sie ihm gewiesen hatte.
Eine andere Überraschung erwartete Tyler, als er den überwucherten alten Rosengarten erreichte und den Fußweg, der dort hindurch zur Bibliothek führte: Etwas flatterte aus dem Wipfel eines hohen Baumes herab und strich über seine Haare, so dass er erschrak und sich die Hände über den Kopf hielt.
»Zaza!«, schrie er entzückt, als er erkannte, wer da in weiten Kreisen um ihn herumflog. »Zaza, komm her, du verrückter Affe! Du hast mir gefehlt!«
Sie hatten eine lange Unterhaltung. Tyler übernahm das Reden, Zaza verständigte sich hauptsächlich durch Ohrenzwicken und Nasenkneifen. Die kleine graue, geflügelte Äffin freute sich sichtlich, ihn zu sehen. Er fragte sich, warum sie nicht schon längst zu ihm gekommen war. Vielleicht wusste sie dieses Jahr nicht, wo sein Zimmer lag.
Als er die Bibliothek erreichte, schwang sich Zaza in die Luft, flatterte in die Höhe und ließ sich auf dem Dach nieder, wo sie ihre Fingerflügel wie einen Umhang um sich schlang und ihm damit so deutlich, als ob sie gesprochen hätte, zu verstehen gab, dass sie draußen warten würde, während er erledigte, was er in dem gruseligen alten Bau zu erledigen hatte.
Tyler trat durch die offene Tür, ohne anzuklopfen. Hatte er |78| nicht genauso viel Recht, hier zu sein, wie seine Schwester? Doch nach wenigen Schritten wurde er langsamer, weil er Stimmen hörte, und keine war die von Lucinda.
»Wenn du warten willst, Colin, bis Gideon einsieht, was für die Farm das Beste ist, wirst du ewig warten: deswegen.« Das war Mrs. Needle. Ihre Stimme klang verärgert, aber auch so berechnend und kalt, wie Eiswürfel, die in einem Glas klirrten. »Und wir werden unser Zuhause verlieren. Weil Gideon Goldring ein Narr ist.«
»Das ist ungerecht, Mutter«, hörte Tyler Colin sagen. Er widersprach ihr nicht direkt, aber er stimmte ihr auch nicht zu, was ein Punkt zu seinen Gunsten war, fand Tyler. Ein sehr kleiner Punkt, aber immerhin. »Gideon hat versprochen, dass wir hier immer ein Wohnrecht haben werden …«
»Ja! Als Diener! Willst du das etwa, Colin? In deinem eigenen Zuhause der Diener der Jenkins-Kinder sein?«
Tyler war zur offenen Tür zurückgewichen, doch auf einmal schlug ein Windstoß sie mit einem lauten Knall hinter ihm zu.
»Wer ist da?« Im nächsten Moment kam Patience Needle um die Ecke gebogen. »Was machst du hier, Master Jenkins?« Ihre Stimme klang schon wieder neutral, doch ihre Augen waren wie stechende schwarze Nadelspitzen. »Hast du uns belauscht?«
»N-nein!«, stotterte Tyler. Sie war eine kleine, schlanke Frau – kleiner als Tyler, der seit letztem Jahr ein Stück gewachsen war –, aber dennoch jagte sie ihm tüchtig Angst ein. »Nein! Ich bin nur gekommen, weil … weil ich meine Schwester suche.« Er schluckte. Er sollte lieber so tun, als hätte er nichts gehört. »Ist Lucinda hier?«
»Vielleicht macht sie sich irgendwo nützlich«, sagte Mrs. Needle, die sich jetzt wieder vollkommen im Griff hatte. |79| »So wie Colin. Deshalb habe ich ihm auch sein Mittagessen gebracht.« Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, das aussah wie das Letzte, was ein kleines Pelztier zu sehen bekam, bevor es verschlungen wurde. »Ich wusste nicht, dass du herkommst, Tyler, sonst hätte ich dir auch etwas mitgebracht.« Sie drehte sich zur Seite und rief über die Schulter: »Überarbeite dich nicht, Colin, Liebes!« Dann wandte sie sich wieder Tyler zu. »Ich wünschte, er würde mehr an die frische Luft gehen«, sagte sie mit beinahe überzeugender Fürsorglichkeit. »Vielleicht könntet ihr beide ein bisschen fangen spielen.« Abermals stellte sie ihr stahlhartes Lächeln an, dann ging sie an ihm vorbei zur Tür hinaus und hinterließ in der Bibliothek einen eisigen Hauch und einen blumigen Geruch.
Fangen spielen? Mit Colin Needle? Das war ein derart bizarrer Gedanke, dass Tyler sich fragte, ob die Hexe ihm irgendwie eine reinsemmeln wollte.
Klar, vielleicht könnten wir ja auch zusammen ein bisschen klickern.
In der Bibliothek blickte Colin vom Lexikontisch auf, wo er Bücher, Notizhefte und seinen Laptop ausgebreitet hatte. Es sah wahrhaftig so aus, als wollte der ältere Junge hier ein Revier markieren, als bildete er sich ein,
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