Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
wiederbekommen.« Walkwell zog an den Zügeln, und Culpepper bog auf die schmale Straße ab, die zur Farm der Carrillos führte. »Aber wenn Gideon wüsste, dass der Drache der Brandstifter war und dass sein Kontinuaskop mit ziemlicher Sicherheit zerstört und ein für alle Mal dahin ist … ich hatte einfach die Befürchtung, er würde verzweifeln und die Hoffnung völlig aufgeben. Deshalb habe ich geschwiegen. Der Verlust von Grace hat ihn schon hart genug getroffen.«
Mehr wollte er dazu nicht sagen, aber es reichte aus, um Tyler für die restliche Strecke zum Schweigen zu bringen. Wogegen Lucinda ganz und gar nichts hatte.
Bis zur Einfahrt der Cresta-Sol-Farm sprach niemand mehr ein Wort. Das weiße Eisentor mit der aufgemalten Sonne stach so hell und freundlich von dem grummeligen grauen Himmel ab, dass Lucindas Laune sich schlagartig hob. All diese alten Geheimnisse und traurigen Geschichten – aber bestimmt würde alles gut werden! Gideon würde zurückkommen, das musste sie einfach glauben. Und heute wenigstens standen gutes Essen und gute Freunde auf dem Programm … und Knaller und Raketen!
Sie zuckelten über die lange Kiesauffahrt auf den großen |128| Vorplatz. Carmen stand schon auf der Veranda, die Augen gegen die Sonne abgeschirmt, und hielt nach ihnen Ausschau. Sie winkte, und im gleichen Augenblick flog neben ihr die Tür auf und Steve und Alma, die Jüngste der Geschwister, kamen herausgestürmt. »Mama! Papa!«, rief Alma ins Haus. »Guckt mal, wer da ist!«
Hector und Silvia Carrillo kamen ebenfalls heraus, Silvia hatte eine Schürze umgebunden, an der sie sich die Hände abwischte. Ragnar konnte nicht winken, weil er zwei Bierkästen trug, die sein Beitrag zum Fest waren, aber er brüllte einen Gruß. »Hallo, die Herrschaften Carrillo! Schön, euch mal wiederzusehen!«
»Dich auch, Ragnar, und dich, Simos – und euch Kinder natürlich«, sagte Mrs. Carrillo, aber sie blickte ein wenig verwirrt. »Wo ist Gideon? Wir dachten, er kommt mit. Wir haben ihn extra eingeladen.«
»O weh«, sagte Tyler leise und wandte sich Steve zu. »Komm, wir machen uns lieber dünne, bevor hier die Kacke am Dampfen ist.«
»Wieso?«, fragte Steve ein wenig irritiert. »Was ist los?«
Lucindas Hoffnungen sanken. Letztes Jahr waren alle so nett gewesen – warum konnte es jetzt nicht wieder so sein? Walkwell ging auf das Ehepaar Carrillo zu, als hätte er eine sehr unerfreuliche Pflicht zu erfüllen, aber bevor er sie erreichte, fasste Carmen Lucinda am Handgelenk und zerrte sie von den anderen weg, hinter das Haus zu den Festvorbereitungen auf der Terrasse.
Ein halbes Dutzend Verwandte der Carrillos, überwiegend Frauen, waren dabei, die mit roten, weißen und blauen Papiertischtüchern dekorierten Picknicktische zu decken. »Mein Papa ärgert sich«, erzählte Carmen ihr leise. »Er muss dringend mit eurem Onkel reden, aber Mr. Goldring ruft ihn nie zurück.« |129| »Das ist … kompliziert.« Lucinda wusste nicht, wie viel sie sagen durfte. »Onkel Gideon ist … na ja, er ist fort.« Sie reichte Carmen die in Zeitungspapier eingewickelten Rosen, die Pema noch am Morgen in einem der Gärten hinterm Haus geschnitten hatte. »Hier.«
»Die sind aber schön!«, sagte eine Stimme hinter ihr. Lucinda drehte sich um und erblickte Carmens Oma Paz, eine kleine, rundliche Frau, die gerade eine heiße Auflaufform herbeitrug. »Ah ja, du bist die Lucinda von nebenan, natürlich. Freut mich, dass du noch am Leben bist.«
»Oma!«, rief Carmen empört.
Die alte Frau schüttelte ihren Kopf mit den rotgefärbten Haaren. »Mach mir keine Vorwürfe, nur weil ich die Wahrheit sage. Das ist ein übler Ort. Da sollte man keine Kinder hinholen, aber dieser junge Gideon war immer schon zu sehr von sich selbst überzeugt.«
»Jung?«, sagte Lucinda verwundert, aber da zog Carmen sie schon weiter.
»Lass uns die Blumen in eine Vase stellen.« Auf dem Weg ins Haus beugte Carmen sich dicht heran. »Mach dir nichts draus. Sie ist immer so – und mit dir und Tyler treibt sie’s besonders schlimm.« Carmens Augen wurden weit. »Ist das der Sohn von der Hexe, der da mit euch gekommen ist?«
»Was? Ach so, Colin, ja.«
»Ich hätte ihn fast nicht wiedererkannt. Er scheint ja nicht mehr ganz so unmöglich zu sein wie früher. Er sieht beinahe menschlich aus.« Carmen lachte. »Komm mit, bevor meine Großmutter wieder auftaucht und anfängt, für dich zu beten. Ich hab was für dich.«
In ihrem Zimmer holte Carmen ein
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