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Die Geheimnisse Der Tinkerfarm

Die Geheimnisse Der Tinkerfarm

Titel: Die Geheimnisse Der Tinkerfarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams , Deborah Beale
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verstand Ragnars Sorge.
    »Nicht ich bin es, der dein Mitleid braucht«, erklärte Walkwell. »Jedes Mal, wenn die Hexe Gideon anschleppt, damit er Anweisungen erteilt, wirkt er langsamer, schwächer und dümmer, wie ein Baum, der nicht genug Wasser bekommt. Ich bange um ihn.«
    Die Vorstellung, dass ihr Großonkel in Mrs. Needles Händen immer kränker wurde, machte Lucinda ganz verzweifelt. »Es ist das Treibhaus! Ich weiß, dass da irgendwas drin ist! Ich kann euch den Brief zeigen, den ich gefunden habe, wenn ihr ihn sehen wollt. Irgendwas richtig Schlimmes ist da drin, und ich bin mir sicher, dass es das ist, womit Mrs. Needle Onkel Gideon kontrolliert.«
    Walkwell sah sie nur an, nicht als schenkte er ihr keinen Glauben, sondern als spielte es keine Rolle. Ragnar ballte grimmig die Fäuste.
    »Wenn ich einfach hingehen und der Hexe den Hals brechen |241| könnte, würde ich es tun«, sagte der Nordmann. »Aber die Götter allein wissen, ob wir danach Gideon jemals ganz zurückholen könnten. Wenn wir ihn von ihr wegbrächten, genauso. Solange er in ihrer Macht ist, weiß sie, dass wir uns nicht trauen, etwas zu unternehmen.«
    »Ragnar spricht die Wahrheit, Lucinda«, bestätigte ihr Walkwell.
    »Aber was ist mit diesem Ding, das Gideon befallen hat – und mich auch?«
    »Ich werde niemanden in die Nähe des Treibhauses lassen, da sei unbesorgt.« Simos Walkwell blickte über die Schulter zur Tinkerfarm zurück. Der Wind war dabei zu drehen, selbst Lucinda spürte es. »Das nächste Gewitter«, seufzte er. »Beim Olymp, was nicht noch alles?«
    »Damit ist es entschieden«, sagte Ragnar. »Ich komme vor zum Tor, und du machst mir auf. Die kranken Tiere müssen eingepfercht werden. Alleine schaffst du das niemals rechtzeitig.« Bevor er loslief, drehte sich der Hüne noch einmal nach Lucinda um. »Ich weiß, dass es dir schwerfällt zu warten, aber ich komme heute Abend wieder und berichte dir alles, was ich gesehen habe. Geh jetzt zum Haus zurück. Es kann Blitze geben.«
    »Es
wird
Blitze geben«, sagte Walkwell düster. »Und nur die Moiren – die Schicksalsgöttinnen – wissen, was sonst noch kommen wird.«

    Möhrenmädchen!
    Lucinda hörte ihn so deutlich, als hätte ihn ihr jemand ins Ohr gesagt, den Namen (eigentlich eher den Gedanken), mit dem die junge Drachin Desta sie rief. Das stumme Lautgebilde erreichte sie erneut:
Möhrenmädchen, Hilfe!
    |242| Sie war auf der Luftmatratze in Carmens Zimmer eingeschlafen, ja im Grunde schlief sie immer noch halb und traute sich nicht, die Augen aufzuschlagen, um ja nicht die Verbindung zu der verängstigten Drachin zu verlieren. Sie hätte nicht zu träumen gewagt, dass die Gedanken des Tieres sie so weit von der Farm entfernt erreichen könnten.
Ich bin hier, Desta. Was ist denn so schlimm?
    Vieles schlimm! Alles schlimm! Angst!
    Wobei die Angst nicht allein dem eigenen Wohl galt.
Meseret
– Lucinda nahm ihn als Bild wahr, nicht als Namen, den mächtigen, warmen Schattengedanken, der Destas Mutter darstellte –
hat auch Hunger. Andere Tiere frei! Böse, drohen! Machen Desta Angst! Andere laufen und schreien!
    Und während diese Gedanken durch ihr inneres Empfinden flatterten und flitzten wie panische Fledermäuse, nahm sie noch etwas anderes wahr: Desta versuchte zu fliegen. Lucinda konnte körperlich spüren, wie die junge Drachin an ihren Fesseln zerrte und darum rang, sich mit ihren Flügeln in die Luft zu erheben.
    Sie ist soweit!
Selbst unter dem Ansturm von Furcht und Verunsicherung packte Lucinda die Erregung.
Sie ist bereit zu fliegen!
    Sag mir, was los ist, Desta. Was ist passiert?
    Alles schlimm. Stinkende Tiere. Jagen nach Beute.
Einen Moment lang konnte Lucinda fast selbst sehen, was Desta sah: einen schleichenden vierbeinigen Schatten, ein haarloses Gesicht, das mit roten Augen in den Reptilienstall spähte. Obwohl sie meilenweit weg war, lief Lucinda ein kalter Schauer über den Rücken.
    Einer der Mantikore lief frei herum.
    Lucinda setzte sich auf. Die untergehende Sonne tauchte Carmens leeres Zimmer in ein dämmeriges Zwielicht und verwandelte |243| das lange Fenster in ein violett glühendes Rechteck. Undeutlich hörte sie die Geräusche von Oma Paz’ Fernseher ein paar Zimmer weiter. Draußen schwankten die Bäume im starken Wind, und schon pladderten die ersten Regentropfen an die Fensterscheibe.
    Die Drachengedanken verschwanden plötzlich aus ihrem Kopf.
    Konzentriere dich!,
sagte sich Lucinda.
Desta? Desta, kannst du mich noch

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