Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
dieser reiche ladrón Stillman wollte Octavio die alte Mine und das Land drum herum zu dem dazukaufen, was er schon hatte. Aber mein Großvater wollte nicht verkaufen, nein. Ha!«
Tyler setzte schon an, die nächste Frage zu stellen, als er |234| plötzlich begriff, was Oma Paz da gesagt hatte. »Moment mal. Octavio wollte die Mine von Ihrem Großvater
kaufen?
Diese Spukmine, von der Sie gesprochen haben?«
»So wurde sie genannt, ja. Ich habe nicht behauptet, dass es dort wirklich spukt.« Sie zog die Stirn kraus, als bereute sie, sich auf das Gespräch eingelassen zu haben. »Aber … vor langer Zeit, da erlaubte mein Großvater einmal ein paar Männern, dort nach Silber zu graben. Er verkaufte ihnen die Mine nicht, er verpachtete sie. Aber die Männer blieben nicht lange!« Sie lachte. »Nein, ganz und gar nicht lange! Damals bekam sie ihren Namen. Sie rannten davon wie Kaninchen. Kamen nie mehr zurück.«
Tyler sah sie verwirrt an. »Sekunde mal. Sie sagen, es gibt hier auf diesem Anwesen eine Mine, in der es spukt? Wo Leute Geister sehen?«
»Früher mal. Niemand geht dort mehr hin. Zu gefährlich.« Sie nickte. »Und nicht nur Geister. Alles mögliche. Magische Tiere.« Sie schüttelte sich und bekreuzigte sich.
»Aber Sie sagen, es ist auf Ihrem Grund und Boden. Nicht auf unserem.« Dabei klang es eindeutig so, als ob sie von der Verwerfungsspalte sprach. Er wurde daraus nicht schlau.
Oma Paz sah ihn abermals scharf an. »Du bist jetzt den zweiten Sommer hier und weißt immer noch nicht, wo die Zauberhügel sind?« Sie deutete von der Ordinary Farm weg auf eine Hügelkette einige Meilen weiter westlich, die von der untergehenden Sonne mit Dunkelrot und braunen Schatten übergossen wurde. »Das sind Las Lomas Embrujadas«, sagte sie. »Und am Fuß des größten Hügels sollte das Bergwerk gebaut werden.«
»Aber ich dachte, diese magischen Orte wären alle auf
unserer
Farm. Sie sagen doch immer, dass es dort so gefährlich ist.«
|235| »Ist es auch! Wo ihr lebt, das nennt man das Tal des Wirbelwinds, Valle del Torbellino. Der Stamm meiner Großmutter erzählte sich, dass in uralten Tagen der Wirbelwind dort die Erde aufriss, um seinen verlorenen Sohn zu finden, und dass dadurch die Öffnung in das Land der Geister entstand.«
»Und ihr habt auf eurem Land auch so eine Öffnung? Warum erzählen Sie dann diese ganzen schlimmen Dinge über die Tinkerfarm?«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Octavios Land, Gideons Land ist
überall
sehr schlimm. Unser Land hier ist gut, so weit man schauen kann. Nur dort draußen bei den Hügeln«, sie deutete in die Ferne, »nur dort ist es schlimm. Wir gehen dort nicht hin, deshalb macht es nichts. Die Kühe sind zufrieden, die Milch ist süß, und die Geister kümmern uns nicht. Deshalb leben wir hier. Deshalb würde ich
niemals
dort leben, wo du lebst.« Sie nickte nachdrücklich, als ob sie eine schwierige mathematische Gleichung gelöst hätte.
Tyler verabschiedete sich von ihr und ging zum Haus zurück, den Kopf voll von wild durcheinanderwirbelnden Gedanken.
»Tritt in keinen Hühnerhaufen!«, rief Oma Paz ihm kichernd hinterher.
Das heißt, die Carrillos haben schon die ganze Zeit irgendwelche Geistergänge in ihren Hügeln,
sagte er sich. Da kam ihm plötzlich ein unglaublicher Gedanke, der ihm fast den Atem raubte, und er blieb wie angewurzelt stehen. Er war davon derart überwältigt, dass die Welt ringsherum mit einem Mal verstummt zu sein schien.
Heißt das, dass ihre Spukmine irgendwie … mit der Verwerfungsspalte verbunden ist? Unterirdisch? Aber damit wäre sie auch mit der Tinkerfarm verbunden.
Das rückte alles in ein anderes Licht. Alles.
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Die Spukmine. Die Verhexten Hügel. Das – wie hat Paz es genannt? –, das Tal des Wirbelwinds. Die ganze Gegend ist nicht normal, das ganze Tal!
Da Octavio keinerlei Aufmerksamkeit von außen gewollt hatte, war es kein Wunder, dass er den Orten Namen wie »Standard Valley« und »Ordinary Farm« gegeben hatte.
Denn in Wirklichkeit war die Gegend
niemals
normal gewesen.
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26
MONSTER UND MORTADELLA
N ach dem Abendessen lag Lucinda gern in Carmens Zimmer auf ihrer Luftmatratze und lauschte den Waldsängern und Hüttensängern, die bei den Carrillos im Garten durch die Bäume schwirrten. Ihre zirpenden Lieder beruhigten sie und erinnerten sie daran, dass sie zwar nicht dort war, wo sie eigentlich sein wollte, auf der Tinkerfarm, aber doch an einem sehr schönen Ort, umgeben von Freundinnen wie
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