Die Geheimnisse der Toten
sagen kann.»
«Augenblick», sagte Abby. «Beim Einchecken müsste ich meinen Pass vorlegen, und man wird uns der Polizei melden.»
Giacomo musterte sie. Ein Goldzahn blinkte in seinem Mund. Ich habe Schwäche gezeigt, dachte Abby. Er fragt sich, wie er sie ausnutzen kann. Er nahm ein silbernes Mobiltelefon zur Hand und rief jemanden an. Abby fragte sich, wie beim Lärm der Musik am anderen Ende der Verbindung irgendetwas zu verstehen sein sollte.
«Sie werden Ihren Pass nicht vorlegen müssen.»
«Wie lange müssen wir auf Sie warten?»
«Ich komme, sobald ich etwas habe. Wissen Sie, was Sokrates gesagt hat?»
«‹Ich sterbe für ein Glas Schierling?›», witzelte Michael. Aber auch darüber konnte Giacomo nicht lachen.
«‹Lernen heißt, sich an Informationen zu erinnern, die bereits seit Generationen in der Seele des Menschen wohnen.›»
Er stand auf und ging, ohne zu zahlen. Der junge Mann an der Bar nickte ihm zu, als er an ihm vorbeikam, folgte aber nicht.
Michael drehte sein Glas auf dem Tisch und hinterließ dabei feuchte Kreisspuren. Sein permanentes Schmunzeln war gewichen, sein Gesicht eingefallen. Er wirkte alt.
«Wo hast du uns da hineinmanövriert?», murmelte Abby. Michaels Antwort, falls er eine gab, ging in der Musik unter.
[zur Inhaltsübersicht]
30
Konstantinopel – Mai 337
Aurelius Symmachus liegt hingestreckt am Beckenrand, die Arme zur Seite ausgebreitet, wie, um Gleichgewicht zu finden. Die rechte Hand hängt im Wasser. Das Gesicht ist violett angelaufen, seine Tunika beschmutzt mit Blut und Erbrochenem.
Ich tausche einen Blick mit Porfyrius. Er glaubt ebenso wenig wie ich, dass dies ein Unfall war.
Zuerst entledigen sie sich deiner Person, dann schicken sie die Meuchler.
Eine weiße Marmorbüste liegt neben den Füßen des Toten. Porfyrius versucht sie aufzuheben, aber sie ist zu schwer für ihn. Er liest den Namen auf dem Sockel und lacht freudlos.
«Cato der Jüngere. Du kennst die Geschichte.»
«Ich glaube, ja.»
«Er war ein Stoiker, der es vorzog, lieber selbst Hand an sich zu legen, als in die Verbannung zu gehen.» Mit dem Fuß stößt er den steinernen Kopf über den Kies. «Symmachus war nicht stärker als ich. Er hat Cato nicht hierhergeschleppt, um ein historisches Theaterstück auszustaffieren.»
«Aber jemand wollte, dass wir genau das denken.»
«Wir sollen denken, es sei Selbstmord.»
Ein Glitzern im Wasser fällt mir ins Auge. Ich greife hinein und berge einen kleinen silbernen Becher. Ich komme einem der Fische so nahe, dass ich seine Schuppen an meiner Haut spüre, doch er bewegt sich immer noch nicht. Keiner der Fische bewegt sich.
Sie sind tot. Sie treiben mit dem Bauch nach oben an der Oberfläche und wippen sacht wie Federn.
Mein nasser Arm fängt plötzlich an zu brennen. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber es gibt Gifte, die töten, wenn man nur äußerlich mit ihnen in Kontakt kommt. Ich reibe den Arm mit dem Saum meines Umhangs trocken, so fest, dass ich mir fast die Haut aufschürfe.
Porfyrius beobachtet mich verunsichert.
«Das Gift war in dem Becher. Symmachus hat ihn ins Wasser fallen lassen, als er zu Boden ging. Offenbar enthielt er noch so viel Gift, dass auch die Fische gestorben sind. Wahrscheinlich Eisenhut.»
«Aurelius Symmachus hat etwas Besseres verdient als diesen Tod.» Mit ganzer Kraft und Wut wuchtet Porfyrius die Büste über den Beckenrand. Sie klatscht ins Wasser und reißt ein paar Fische mit auf den Grund.
«Wir sollten die Wachen alarmieren.»
«Sie werden sagen, es war Selbstmord.»
«Hauptsache, man hängt uns keinen Mord an.»
Seine Wut legt sich. Wir stecken beide in der Klemme. Er kehrt zum Säulengang zurück, setzt sich auf eine Stufe und lässt die Schultern hängen. Ich gehe um das Becken herum und widerstehe dem Zwang, meine Hände zu reiben.
«Symmachus hat sich nicht das Leben genommen», sage ich. «Sein Mörder hat wahrscheinlich auch Alexander umgebracht.»
«Bist du dir sicher?»
«Gehen wir davon aus, dass Symmachus Alexander nicht getötet hat. Meinst du nicht auch, der Mörder des Bischofs könnte es darauf abgesehen haben, Symmachus zu belasten?»
«Zugegeben, er hatte ein Motiv. Aber das trifft auch auf viele andere zu. Selbst auf dich. Wir stehen hier vor drei Fragen, und sie brauchen nicht dieselbe Antwort zu haben. Wer tötete Alexander? Wer hat Symmachus zu belasten versucht? Und wer ist sein Mörder?»
Er geht mir langsam auf die Nerven, weil er alles, was ich sage,
Weitere Kostenlose Bücher