Die Geheimnisse der Toten
bekrittelt wie ein Sophist auf dem Forum. Seine Haarspaltereien interessieren mich nicht. «Wer außer dem Mörder Alexanders könnte ein Interesse daran gehabt haben, Symmachus anzuschwärzen? Mit seinem Tod ist jetzt der letzte lose Faden verknüpft.»
«Er war doch schon verknüpft. Symmachus hätte inzwischen auf dem Schiff sein sollen. Wenn man ihn umbringen wollte, hätte man es auf hoher See oder gleich nach der Ankunft in Griechenland tun können. Kein Hahn hätte danach gekräht.»
«Behauptest du etwa, es sei Zufall?»
Ich betrachte die Leiche. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass in dieser Stadt nichts zufällig geschieht.
«Symmachus wurde aus gutem Grund als Sündenbock ausgewählt. Er sollte aus dem Weg geräumt werden. Die Verbannung reichte nicht – seine Widersacher wollten ihn tot sehen.»
Porfyrius schweigt.
«Du warst sein Freund. Fällt dir jemand ein, den er beleidigt haben könnte?»
«Viele Christen haben ihn gehasst.»
«Aber die werden nicht dreißig Jahre lang gewartet haben, bis sie ihn töteten.» Ich schüttele den Kopf. «In diesem Fall hatte es jemand eilig.»
Ich versuche, die Stille, die sich in die Länge zieht, auszuhalten. Porfyrius ist zweifellos schockiert, aber er lässt auch ein Zögern erkennen, das mich nervös macht.
«Wir müssen herausfinden, wer es war», sage ich schließlich. «Keine Geheimnisse.»
«Glaubst du, es gelingt dir, Gerechtigkeit zu erwirken?»
«Mir würde es reichen, einem Schicksal wie dem des Symmachus zu entgehen.»
Alte Gewohnheiten lassen sich nicht so einfach abschütteln. Selbst in dieser stillen Villa rede ich so, als fühlte ich mich beobachtet. Aber für Vorsicht ist es zu spät.
Mich packt eine heillose Wut. Porfyrius muss jetzt herhalten für all die Lügen, die man mir in den vergangenen Wochen zugemutet hat. Ich greife dem toten Symmachus unter die Arme und schleife ihn über den Kies. Dass ich die Kraft dazu aufbringe, überrascht mich selbst, denn ich wähnte sie längst verloren. Entsetzt springt Porfyrius auf.
Ich werfe ihm den Leichnam vor die Füße. «War Symmachus dein Freund?»
Er zittert am ganzen Körper. Sein Kopf wackelt wie ein Stück Fleisch auf einer Messerspitze. Ich deute die Bewegung als Zustimmung.
«Um Gottes willen – deines Gottes oder meines –, dann sage mir, was du weißt.»
Er hält meinem Blick nicht stand und schaut zu Boden. Die toten Augen des Aurelius Symmachus starren ihn an. Er flüstert etwas, das ich nicht ganz verstehe. Es klingt wie «Geheimnis».
«Geheimnis?»
«Ich darf darüber nicht reden.»
«War es Symmachus’ Geheimnis?»
Porfyrius sinkt auf die Stufen zurück und umschlingt mit den Armen seine Knie. «Alexanders.»
Ich bin ganz Ohr.
«Für sein Geschichtswerk hat Alexander die Archive durchstöbert. Irgendwo, tief vergraben in der Urkundensammlung, fand er einen Bericht, den Symmachus vor dreißig Jahren verfasst hat. Er wollte jemanden damit erpressen.»
«Woher weißt du das?»
«Hast du davon gehört, dass der Patriarch von Konstantinopel vor ein paar Monaten gestorben ist?»
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Simeon vor der Kirche zum heiligen Frieden. Eusebius bietet sich als sein Nachfolger an. Alexander war gegen seine Wahl.
«Der Patriarch von Konstantinopel ist der mächtigste Kirchenmann im ganzen Reich. Eusebius wollte dieses Amt unter allen Umständen. Aber Alexander war ebenso entschlossen, ihn davon abzuhalten.»
Das erklärt so manches. «Er hat ein Geheimnis über Eusebius herausgefunden?»
«Hast du von dem Sophisten Asterius gehört?»
Ich erinnere mich an diesen welken Greis, der seine verstümmelten Arme in den Ärmeln versteckte und in eine Kirche starrte, die er nicht betreten durfte. «Er war damals auch in der Bibliothek.»
Porfyrius schaut sich in der begrünten Säulenhalle um. Sein Publikum besteht aus einem Leichnam, toten Fischen, einigen längst verstorbenen Philosophen – und mir. Trotzdem fällt es ihm offenbar schwer, ein lange gehütetes Geheimnis zu lüften. Seine Worte sind kaum hörbar.
«Es war während der Christenverfolgung, als Symmachus Asterius und Eusebius in seinen Kerker werfen ließ. Beide waren aufstrebende Talente mit integrem Ruf. Viele Christen blickten zu ihnen auf. Kaiser Diokletian hoffte, sie zu brechen und mit ihnen die gesamte Anhängerschaft.»
Simeon: In der Zisterne unter seinem Haus hielt sich ein Dutzend Christen mit ihren Familien versteckt. Asterius verriet sie an Kaiser Diokletian, der sie
Weitere Kostenlose Bücher