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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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ihn? Er hat ein Glaubensbekenntnis verfasst.»
    Christen haben eine ausgeprägte Vorliebe für solche Schriften, die von den Attributen ihres Gottes Bestand aufnehmen. Eine weitere Eigenschaft zu finden, der alle Bischöfe beipflichten können, ist zum wichtigsten Ziel des Konzils geworden.
    Konstantin liest. Er versteht sich ungewöhnlich gut darauf, Kernpunkte zu erkennen, selbst in so verstiegenen Texten wie denen der christlichen Doktrin.
    «An diesem Satz – ‹Christus ist gezeugt, nicht geschaffen› – wird Arius wohl Anstoß nehmen.»
    «Wenn Gott Christus geschaffen hätte, wäre Christus etwas anderes als Gott. Wenn er aber von seinem Vater gezeugt wurde, bestehen sie aus derselben Substanz, und dann existiert Christus so lange wie Gott.»
    «Vater und Sohn sind also von derselben Substanz.» Ich glaube zu ahnen, was in Konstantins Kopf vorgeht. Er setzt die Diskussion mit Crispus fort, wovon ich aber keine Notiz mehr nehme. Mich interessiert nur das Ergebnis.
    «Du musst ihnen den Weg weisen.» Crispus deutet auf die vergessenen Schriftrollen auf dem Bett. «Was glaubst du, warum sie dich damit eindecken?»
    «Um mich zu ärgern?»
    «Nein, sie brauchen einen Richter.»

    Am nächsten Morgen ruft Konstantin zu einer weiteren Sitzung in der großen Halle des Palastes auf. Die Bischöfe bilden lange, weiße Reihen und warten, bis sich Konstantin auf seinem goldenen Stuhl niedergelassen hat. Etliche melden sich zu Wort. Konstantin streift sie mit seinem Blick und zeigt schließlich auf Crispus’ alten Lehrer.
    «Das Konzil würdigt den Beitrag von Alexander von Cyrene.»
    Der alte Mann – untersetzt, mit strenger Miene und grau meliertem Bart – steht auf und fängt an zu sprechen. Seine Worte sagen mir nichts, aber sein erster Satz bleibt in mir haften.
    «Wir glauben an einen Gott …»
    Als sich Alexander wieder setzt, steht Eusebius auf, doch Konstantin lässt ihn nicht zu Wort kommen. Er betrachtet die versammelten Bischöfe mit sanfter Miene.
    «Was du sagst, scheint mir vernünftig zu sein», kommentiert Konstantin den Redebeitrag des Alten. «Es stimmt mit meinen Vorstellungen fast überein. Wenn du nur ein wenig klarer herausgestellt hättest, dass zwischen Sohn und Vater Wesensgleichheit besteht …»
    «Homoousios» – sein Übersetzer nennt den griechischen Begriff.
    «… wären alle einverstanden.»
    Seine Blicke schweifen durch den Raum und richten sich auf Eusebius, der immer noch steht und auf die Erlaubnis wartet, reden zu dürfen.
    «Bischof?»
    Eusebius fährt mit der Zunge über die Lippen und räuspert sich. Er zupft an einem losen Faden seiner Robe und wickelt ihn so fest um seinen dicken Finger, dass die Spitze rot anläuft.
    «Ich –»
    Er ist geschlagen. Entweder bezichtigt er Konstantin der Häresie, oder er akzeptiert den Kompromiss. Selbstmord oder Kapitulation.
    Er breitet die Arme aus. «Wer könnte dem widersprechen?»
    Konstantin lächelt zufrieden. Fast alle Bischöfe applaudieren und stampfen mit den Füßen auf. Kaum hat Konstantin seinen Blick von Eusebius abgewendet, verschwindet das Lächeln von dessen Gesicht.
    Im Rückblick wundert es mich, dass ich diesen Moment so deutlich in Erinnerung habe, denn er ist mir danach nur selten durch den Kopf gegangen. Was wenig später geschah, ließ ihn vergessen und veränderte alles. Mir ist, als hätte es diesen Teil der Geschichte nie gegeben. Er passt einfach nicht.
    Man kann sagen, Vater und Sohn seien wesensgleich. Man kann es auch in ein Glaubensbekenntnis schreiben, dem sich zweihundertsiebenundvierzig prominente Kirchenmänner verpflichteten (Arius und zwei seiner Anhänger weigerten sich und gingen ins Exil). Aber das macht die Sache nicht wahrer.
    Der Vater zeugt den Sohn. Sie sind nicht dieselben.

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    33
    Belgrad, Serbien – Gegenwart
    Singidunum – also Belgrad – war eine Festung zum Schutz vor den Barbaren auf der anderen Seite der Donau. Das hatte Nikolić gesagt. Die Festung gab es immer noch unter dem Namen Kalemegdan-Zitadelle. Im Laufe der Zeit hatten Serben, Osmanen und Österreicher auf den römischen Fundamenten eigene Burgen errichtet. Die Mauern standen für fast zweitausend Jahre Befestigungsgeschichte. An einem Laternenmast hing eine rote Fahne mit goldenem Löwen und den Worten Leg IIII Flavia Felix zu Ehren der «glücklichen» vierten Legion, die sich ursprünglich hier verschanzt hatte. Abby erschrak, als sie dieses Banner sah. Den gleichen Löwen und dieselbe Inschrift

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