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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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die Stirn. Auf der anderen Seite der Terrasse zog der Eiscremeverkäufer vorbei, auf der Suche nach Kundschaft.
    Gruber zeigte auf die Brüstung. Abby glaubte schon, er habe sie gesehen. Michael war anscheinend mit etwas nicht einverstanden, machte dann aber eine Geste, die «Wenn’s denn sein muss» zu besagen schien. Er folgte Gruber über den Platz und legte den Beutel auf der niedrigen Mauer ab.
    Ein kalter Wind blies über die Sava und trieb ihre Worte zu Abby hinüber.
    «Sie können sich darauf verlassen», sagte Michael.
    «Ich würde mich gern selbst überzeugen.»
    «Und ich will sehen, was Sie mir mitgebracht haben.»
    Gruber knöpfte seinen Mantel auf und griff hinter den Aufschlag. Abby lehnte sich rücklings an die Brüstung und tat so, als betrachtete sie die Zitadellenmauern. Vor dem Tor war das Kind aus dem Kinderwagen geklettert und trippelte auf den Eisverkäufer zu. Die Mutter eilte ihm nach. Im Hintergrund waren Rufe und Fanfarenstöße zu hören. Das Rennen hatte anscheinend begonnen.
    Gruber brachte eine Klarsichthülle zum Vorschein. «Mit leeren Händen wäre ich nicht gekommen. Hier, die Rekonstruktion des Textes und meine Transkription.»
    «Interessant?»
    «Durchaus.» Er legte die Hand auf den Beutel. «Vorausgesetzt, dass alles in Ordnung ist.»
    Michael trat zurück. «Bedienen Sie sich.»
    Er warf einen Blick auf Abby und nickte kaum merklich mit dem Kopf.
    Das war so nicht geplant gewesen. Wollte er etwa, dass sie Gruber am helllichten Tag überfiel? Sie ging langsam auf die beiden zu. Gruber war mit dem Inhalt des Beutels beschäftigt und sah sie nicht kommen. Die Hülle hatte er wieder weggesteckt.
    Sein Kopf fuhr in die Höhe. «Es war von hunderttausend die Rede. Das hier reicht nicht.»
    «Den Rest bekommen Sie, wenn wir das Dokument verifiziert haben.» Michael sprach schnell und improvisierte. «Wir müssen wissen, ob sich das, was Sie uns da vorlegen, tatsächlich lohnt.» Er schaute über Grubers Schulter hinweg und deutete Abby an, sich zu beeilen. Komm schon. Sie rückte näher.
    Ein Kinderschrei durchschnitt die kühle Luft. Abby, Gruber und Michael fuhren herum. Der Eismann hatte den Metalldeckel seines Karrens aufgeklappt, als wollte er das kleine Mädchen aus dem Kinderwagen bedienen. In seiner Hand steckte eine schwarze Pistole mit langem Lauf.
    Instinktiv warf sich Abby auf den Boden. Unmittelbar darauf krachte es. Ringsum wurden verschreckte Rufe und hektisches Fußgetrampel laut. Sie blickte auf und sah den Eismann auf den Beutel zu rennen, der wieder auf der Mauer lag.
    Gruber und Michael waren verschwunden.
    Der Eismann riss den Beutel auf, durchstöberte ihn und warf ihn zu Boden. Mit erhobener Waffe spähte er über die Mauer und zielte auf etwas auf der anderen Seite.
    Abby zweifelte keinen Augenblick daran, dass er Michael im Visier hatte. Ohne zu zögern, sprang sie auf und rannte auf den Mann zu. Er sah sie nicht, denn er hatte ein Auge zugekniffen und das andere auf sein Ziel gerichtet. Wild entschlossen hechtete sie von hinten auf ihn.
    Die verwundete Schulter schmerzte höllisch, schlimmer noch als unmittelbar nach dem Schuss in der Villa. Der Mann geriet ins Wanken, blieb aber stehen. Abby umklammerte seine Beine mit den Armen und hielt sie fest, so sehr er sie auch abzuschütteln versuchte. Plötzlich spürte sie einen Aufprall am Kopf. Ihr war, als platzte ihr der Schädel. Sie ließ von ihm ab.
    Der Eismann stieß sie mit dem Fuß von sich und blickte über die Mauer. Wieder hob er seine Pistole, drückte aber nicht ab. Aus der Tiefe drangen Rufe und andere Geräusche herauf.
    Vor Schmerzen wimmernd, richtete sich Abby auf, um über die Mauer zu schauen. An die dreißig Männer in Trikots und Shorts rannten auf einem Weg an ihr entlang, angefeuert von wenigen Zuschauern. Einer oder zwei blickten nach oben, aber alle anderen hatten ihre Augen auf die Läufer gerichtet.
    Die Mauer war auf dieser Seite so hoch, dass Michael einen Sprung nicht hätte wagen können. Aber ein Stück versetzt lehnte ein Baugerüst an der Wand, verkleidet mit Kunststoffplanen. Ob sich Arbeiter dahinter verbargen, war nicht zu erkennen.
    Die führenden Läufer hatten das Gerüst passiert, als an dessen Fuß plötzlich ein Teil der Plane aufflog. Michael und Gruber tauchten darunter auf und mischten sich unter die Sportler. Trotz wütender Proteste rannten sie in der Gruppe mit. Der Eismann folgte ihnen mit der Pistole – zwei bewegte, von anderen dichtbedrängte Ziele. Sie

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