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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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sein oder zumindest als Sündenbock herhalten. Wenn er Priester ist, wird Konstantin ihm Folter oder Hinrichtung ersparen, ihn stattdessen auf einem Fels im Meer aussetzen und auf diese Weise Gerechtigkeit walten lassen.
    Aber eigentlich will Konstantin etwas anderes.
    «Wie ist er gestorben?»
    «Sein Gesicht wurde zerschlagen», antwortet der Diakon in einem Ton, mit dem er mich offenbar schockieren will. Aber um das zu erreichen, muss er schon zu anderen Mitteln greifen.
    «Wie?»
    Er versteht mich nicht. «Zerschlagen», wiederholt er. «Er war voller Blut.»
    « Wie wurde das Gesicht verletzt?»
    Simeon tippt sich an die Stirn. «Die Wunde war hier.»
    «Eine saubere Wunde, wie von einem Messer herbeigeführt?»
    Er hält mich anscheinend für begriffsstutzig. «Ich sage doch, das Gesicht wurde zerschlagen. Zertrümmert.»
    Das ergibt keinen Sinn. Wenn der Bischof am Schreibtisch saß, mit dem Rücken zum Raum, hätte doch sein Hinterkopf das Angriffsziel geboten. Das Blut auf dem Buch aber bestätigt die Worte des Diakons.
    Ich hole die Kette hervor, die mir Konstantin gegeben hat.
    «Hast du die hier gefunden?»
    «Ja, auf dem Boden, gleich neben der Leiche.»
    «Kennst du sie?»
    «Sie gehörte nicht Alexander.»
    «Weißt du, wer ihn umgebracht hat?»
    Meine Frage scheint ihn zu überraschen. Er starrt mich an, wittert offenbar eine Falle, spürt aber wohl, dass er keinen guten Eindruck auf mich macht, wenn er schweigt.
    «Er war schon tot, als ich ihn fand.»
    Ich lasse Ungeduld erkennen, um seine Nerven zu reizen. «Das weiß ich. Und wer ihn umgebracht hat, ist nicht spurlos verschwunden. Er wird Blut an seinen Kleidern gehabt haben. Oder an seinen Händen.» Ich richte meinen Blick auf Simeons tintenverschmierte Hände. Er ballt sie zu Fäusten.
    «Ich habe niemanden gesehen.»
    «Hast du etwas gehört?» Die Frage gilt vor allem dem Bibliothekar – vielleicht kompensiert sein Gehör die schwachen Augen. Doch der schüttelt bereits den Kopf.
    «Nebenan wird eine neue Kirche gebaut. Wir hören die ganze Zeit nur den Lärm der Handwerker. Es ist so laut hier, dass wir uns kaum auf unsere Lektüre konzentrieren können. Wie sagte schon Juvenal? ‹Eripient somnum Druso vitulisque marinis.›»
    Seine Gelehrsamkeit interessiert mich nicht. Konstantin meinte einmal, Männer, die mit ihrer Schulweisheit angeben, hätten selbst nichts zu sagen. Ich lasse meinen Blick schweifen.
    Mir fällt etwas auf. Ein Blutspritzer auf Schriftrollen im Regal, recht weit entfernt von der Stelle, wo die Leiche gelegen hat. Ich schiebe den Bibliothekar beiseite. Er stolpert und fällt fast in seine geliebten Manuskripte.
    Ich stoße mit dem Fuß vor einen Gegenstand am Boden. Er rollt tiefer in den Schatten. Simeon will ihn aufheben, doch ich winke ab und bücke mich selbst. Der verstaubte Boden ist übersät mit Wachsstücken und feinen Fasern von Papyrus. Meine Finger ertasten etwas Kühles, Glattes. Ich hebe es auf und blicke auf eine kleine Büste aus schwarzem Marmor, groß wie eine Faust. Das Gesicht hat edle Züge und tote Augen, auf denen getrocknetes Blut klebt. Ich schätze, dieses Antlitz war das Letzte, was Alexander gesehen hat, ehe er erschlagen wurde.
    «Wer ist das?»
    «Der Name steht unterm Fuß», erklärt der Bibliothekar. Er scheint selbst nicht hinsehen zu wollen.
    Ich drehe die Büste um. «Hierocles.»
    Der Name sagt mir nichts. Vielleicht habe ich ihn schon einmal gehört, ohne weiter darauf geachtet zu haben. Aber die anderen kennen ihn.
    «Hierocles war bekannt dafür, dass er die Christen hasste», antwortet Simeon, und ich sehe ihm an, dass ihm zu diesem Namen noch sehr viel mehr durch den Kopf geht.
    «Weißt du, woher diese Büste kommt?»
    «Von hier», antwortet der Bibliothekar. «Wir haben Dutzende davon.»
    Was ich dann sofort bestätigt finde. Ungefähr in Schulterhöhe sehe ich in der Mitte eines jeden Regalbodens eine solche Steinbüste auf hölzernem Sockel, die die Manuskripte zu bewachen scheint. Nur dort, wo Blut hingespritzt ist, steht ein Sockel ohne Büste.
    Die Geschichte breitet sich wie eine Schriftrolle vor mir aus.
    Item: Alexander stand vor dem Regal und suchte nach einem Dokument.
    Item: Sein Mörder schnappte sich die Büste und schlug damit auf Alexanders Stirn ein.
    Vor meinem inneren Auge taucht die letzte Zeile auf.
    Item: Er schleppt den Leichnam zum Schreibtisch und platziert ihn so, dass man meinen könnte, er schliefe. Dann flieht er.
    Oder aber er machte sich auf

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