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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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den Weg, um den Fund der Leiche zu melden. Ich richte meinen Blick wieder auf Simeon. Er ahnt, was ich denke. Seine Miene ist wie versteinert, sein Zorn unterdrückt. Er wartet darauf, dass ich ihn anklage.
    Wie beiläufig wende ich mich dem Bibliothekar zu.
    «Wie viele Männer sind heute Nachmittag hier?»
    «Vielleicht zwanzig.»
    «Kannst du mir ihre Namen nennen?»
    «Der Pförtner wird alle gesehen haben.»
    «Er soll eine Liste aufstellen.»
    «Aurelius Symmachus war hier», sagt Simeon unvermittelt und so schnell, dass ich den Namen kaum verstehe. Er gibt sich dem Kampf gegen seinen Zorn geschlagen und blickt mir trotzig ins Gesicht. Vielleicht glaubt er, er habe nur noch diese eine Möglichkeit, zu Wort zu kommen.
    «Du nennst den Namen eines der vornehmsten Männer der Stadt», gebe ich zu bedenken. Aurelius Symmachus ist von altem römischen Geschlecht, ein Patrizier durch und durch, ein Mann, mit dem man rechnen muss, obwohl er der Vergangenheit angehört und in diese neue Stadt nicht mehr zu passen scheint. Aber vielleicht gilt das auch für mich.
    «Er war hier», beteuert Simeon. «Ich sah ihn am frühen Nachmittag im Gespräch mit Bischof Alexander. Und kurz bevor ich die Leiche fand, ist er gegangen.»
    Ich will mir diese Auskunft vom Bibliothekar bestätigen lassen, doch der fummelt an dem Griffel herum, der an einem Armband befestigt ist, und weicht meinem Blick aus.
    Simeon zeigt auf die Büste, die ich immer noch in der Hand halte. «Hierocles war ein Philosoph und bekannt für seinen Hass auf die Christen. Das Gleiche trifft auf Symmachus zu.»
    Ein alter Römer, der die alten Götter verehrt. Dass er die Christen ablehnt, kann nicht überraschen. Aber das macht ihn noch nicht zum Mörder.
    «Vielleicht wollte er ein Zeichen setzen», insistiert Simeon.
    Vielleicht. Ich erinnere mich an Konstantins Worte: Manche werden behaupten, der Mord an Alexander sei ein Angriff auf die gesamte Christenheit, verübt von denen, die sie hassen.
    «Das werde ich mir genauer ansehen.» Ich drehe mich um und will gehen, doch Simeon hat noch etwas zu sagen.
    «Heute Morgen hatte Alexander Dokumente bei sich, in einer ledernen Schatulle mit Messingbeschlägen. Ich durfte sie nicht sehen. Er wollte nicht einmal, dass ich die Schatulle trage.»
    «Und?»
    «Sie ist verschwunden.»

[zur Inhaltsübersicht]
    5
    London – Gegenwart
    Auch aus der Vogelperspektive ist England unverwechselbar. Andere Länder sehen unordentlich aus: Felder und Häuser sind über die Landschaft verstreut, ohne ein logisches Muster erkennen zu lassen, versprengte bebaute Rechtecke in umkämpfter, zerklüfteter Landschaft. In England dagegen fügen sich alle Linien zu einem geordneten Bild. Beim Landeanflug auf Gatwick breitete sich vor Abbys Augen ein schachbrettartiges Mosaik aus Äckern, Weiden und Anwesen aus, grau und feucht wie in einem Verlies.
    Man hatte sie zurückgeschickt, so früh, wie es gerade noch zu verantworten war. Sie trug einen formlosen Kittel und einen Rock, den man anscheinend in einem Geschäft für Schwangerschaftsmode erstanden hatte. Darunter war sie immer noch verpackt wie eine Mumie. Immerhin konnte sie sich wieder bewegen, mehr oder weniger gut, und so verzichtete sie auf den am Flughafen bereitgestellten Rollstuhl. Jeder Schritt aber machte sich in der Schulter schmerzhaft bemerkbar, und ihre Lungen brannten wie bei einem Marathonlauf. Trotzdem bestand sie darauf, ohne Hilfe zum Ausgang zu gehen.
    Vor lauter Anstrengung übersah sie das in die Höhe gehaltene Schild mit ihrem Namen. Erst als sie ein Zupfen am Ärmel spürte, blickte sie auf. Ein junger Mann im Anzug und einem Hemd mit offenem Kragen wartete auf sie. In der einen Hand hielt er ein Mobiltelefon, in der anderen ein Schild mit dem Aufdruck CORMAC.
    «Mark», stellte er sich vor und schmunzelte wie zur Entschuldigung. «Das Büro hat mich geschickt, Sie abzuholen. Es sei das Mindeste, was man Ihnen schulde.»
    «Danke», erwiderte sie, ohne wirklich dankbar zu sein. Dieser Mark wirkte auf sie geradezu provozierend jugendlich: die goldenen Haare zerzaust, ohne dass es bei ihm affektiert aussah, der Schmelz seiner Wangen, die energiegeladene Zuversicht, jüngst erworben in Cambridge oder an der LSE oder wo auch immer junge Staatsdiener heutzutage ausgebildet wurden. Seit ihrer Scheidung hatte sich Abby nicht mehr so alt gefühlt.
    «Haben Sie Gepäck?»
    Sie hob ihre schwarze Reisetasche, die sie mit an Bord genommen hatte. «Nur das hier. Es war

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