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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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mit roten Dächern bedrängt wurde. Sie ging um den mächtigen Sockel herum, passierte ein geschlossenes Café und gelangte in eine noch engere Gasse. Zwischen den hohen Mauern klang das Echo der Schritte wie das Gekrächze von Krähen.
    Die Gasse kreuzte eine breitere Straße, den römischen Cardo , und führte weiter durch das Zentrum der Palastanlage. Im Osten lagen Mausoleum und Peristyl, im Westen der Doppelbogen des Eisentores von Diokletian, das sich zum Rest der Stadt öffnete. Zu ihrer Linken sah sie einen Mann vor dem Tor stehen und eine Informationstafel studieren. Er sah aus wie der Mann im grünen Anorak, trug aber einen langen beigefarbenen Trenchcoat und hatte eine Zeitung unter dem Arm.
    Abby ging auf das Tor zu. Der Mann drehte sich halb zur Seite und schien sich für ein Detail der Architektur zu interessieren. Jedenfalls versperrte er ihr nicht den Weg. Das Tor bestand in Wahrheit aus zwei Portalen, die durch einen Turm miteinander verbunden waren. Ein gutes Versteck für jemanden, der anderen auflauerte.
    Hinter ihr waren die Schritte zweier Personen zu hören. Rotrock und Schwarzvlies hatten sich zusammengetan. Trenchcoat, der vor ihr stand, schien über sie hinwegzublicken. Er steckte die zusammengefaltete Zeitung vom linken unter den rechten Arm. Gab er damit jemandem ein Zeichen?
    Unvermittelt scherte sie nach rechts aus, in eine andere enge Gasse. Über ihr spannten sich steinerne Bögen zwischen den Mauern zu beiden Seiten. Die darin eingelassenen Fenster und Türen waren mit Läden verschlossen. Manche gehörten zu Wohnungen, andere zu kleinen Geschäften. Abby legte einen Schritt zu.
    Auf halber Strecke durch die Gasse kam sie zu einer Boutique, in der Michael ihr im Juni ein Kleid mit knallorangefarbenem Blütenmuster gekauft hatte. Obwohl sie sich über den Preis mokiert hatte, hatte sie es den ganzen Sommer über getragen. Kurz entschlossen öffnete sie die Tür. Eine Glocke bimmelte. Andere Kunden waren nicht zu sehen. Eine Frau faltete Kaschmirpullover zusammen und ordnete sie zu einem Stapel auf der Theke. Sie lächelte Abby an.
    «Kann ich Ihnen helfen?»
    Abby lächelte ebenfalls, schüttelte aber den Kopf. Sie musterte das Angebot auf den Kleiderständern und behielt gleichzeitig die Tür im Auge. Die Gasse blieb leer. Marks Leute hatten sie in der Falle. Sie brauchten nicht einmal in den Laden zu kommen und Aufsehen zu erregen.
    Abby wählte eine schwarze Hose und einen schwarzen Pulli mit V-Ausschnitt.
    «Dürfte ich die mal anprobieren?»
    «Natürlich.» Die Verkäuferin zeigte durch eine Tür in ein düsteres Treppenhaus. «Der Umkleideraum ist oben.»
    Abby machte sich auf den Weg. Das massive Gemäuer schien so alt zu sein wie die ursprüngliche Befestigungsanlage. Oben angekommen trat sie durch eine hölzerne Tür in eine kleine weiße Kammer mit einem Spiegel an der Wand, einem Stuhl und einem altmodischen Kleiderständer in der Ecke. Licht fiel durch ein Fenster mit zugezogenen Gardinen.
    Abby verriegelte die Tür hinter sich, schob die Gardinen beiseite und blickte auf ein rotgeziegeltes Dach hinab. Die Boutique befand sich, wie sie sah, in der alten Palastmauer. Die Gebäude dahinter lagen bereits außerhalb der alten Anlage. In einem kleinen Hof zwischen zwei Häusern stand ein Mann in Lederkluft; er schaute erwartungsvoll nach oben. Als er sie im Fenster sah, winkte er hektisch. Es war Michael.
    Unten bimmelte die Türglocke. Jemand war in den Laden gekommen. Ihre Beschatter hatten es offenbar doch eilig. Wie viel Zeit blieb ihr noch? Zwei Minuten vielleicht? Sie hob das Schiebefenster an.
    Es bewegte sich eine Handbreit – und klemmte. Fluchend legte Abby all ihre Kraft hinein, aber es half nichts. Als sie zufällig nach oben blickte, sah sie zwei silberne Zylinder, die in den Rahmen geschraubt waren. Einbruchssicherung.
    Das Fenster ließ sich nicht öffnen. Durch die Tür in ihrem Rücken drangen Geräusche. Jemand kam die Treppe herauf.
    «Komm schon!», hörte sie Michael rufen. Sie rüttelte am Fenster und rammte es unter die Sperre. Vergeblich.
    Es klopfte an der Tür.
    «Alles in Ordnung? Brauchen Sie vielleicht eine andere Größe?»
    Die Stimme klang nach der der Verkäuferin, doch Abby war sich nicht sicher, weil die Tür sie dämpfte. «Alles in Ordnung!», rief sie. «Ich bin nur unentschlossen.»
    «Wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie Bescheid.»
    Die Schritte entfernten sich nicht.
    Michael hatte offenbar registriert, dass sie festsaß. «Hast du die

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