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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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vergoldete Spiegel über der Theke hing zu hoch, als dass sie darin hätte erkennen können, was sich draußen abspielte.
    Abgesehen von dem Mann im grünen Anorak, der an einem Tisch vorm Fenster saß, waren sie die einzigen Gäste, was Mark wahrscheinlich zupass kam, denn er hatte bestimmt ein Gerät dabei, das ihr Gespräch aufzeichnete. Ein Kellner mit weißer Schürze nahm ihre Bestellung entgegen: schwarzen Kaffee für Abby, Tee für Mark.
    Er schaute ihr in die Augen. «Sie sehen aus, als wären Sie im Krieg gewesen.»
    «Wo ist die Kette?»
    Es überraschte sie, dass er ohne zu zögern in seine Tasche griff und eine schlanke Schmuckschatulle mit Asprey-Logo hervorholte. Mit einem Daumendruck auf die Arretierung ließ er den Deckel aufspringen. Die Kette lag auf einem Bett aus gekräuselter schwarzer Seide. Der Kellner, der hinter der Theke seine Kaffeemaschine polierte und Abby im Blick hatte, musste sie wohl für eine besonders anspruchsvolle Freundin halten. Ihr war unwohl bei diesem Gedanken.
    «Werden Sie mir verraten, warum Sie diese Klunker unbedingt zurückhaben wollen?»
    «Sie würden mir nicht glauben.»
    Mark klappte den Deckel zu. «Wir haben sie einem Experten vom Britischen Museum vorgelegt. Er datiert sie auf das vierte Jahrhundert, also auf die Zeit, aus der auch die Grabstätte im Kosovo stammt, wo wir Jessops Leiche gefunden haben.»
    Der Kellner brachte die Getränke. Abby betrachtete ihre Hände. «Tut mir leid um Jessop.»
    «War ein guter Mann.» Marks Entgegnung hörte sich an wie ein Filmzitat. «Kurz vor seinem Tod hat er noch einen Bericht eingereicht, in dem er Michael Lascaris verdächtigte, einen gewissen Dragović mit Antiquitäten beliefert zu haben, die aus ebendieser Grabstätte stammen.»
    «Das scheint nur so.»
    «Hat Michael Ihnen etwas anderes erzählt?»
    «Sie können ihn selbst fragen.»
    Mark schaute sich um, als rechnete er damit, Michael könnte plötzlich auftauchen. «Sie haben ihn nicht etwa mitgebracht?»
    Abby stemmte ihre Ellbogen auf den Tisch und beugte sich über die Kaffeetasse. Ihr Herz raste.
    «Michael ist im Hotel Marjan. Zimmer 213.»
    «Allein?»
    «Als ich mich von ihm verabschiedet habe, war er es.»
    Mark holte ein Handy hervor und tippte eine Textnachricht ein. Abby vermutete, dass er ihr etwas vormachte und ihre Auskunft längst über einen versteckten Sender weitergeleitet worden war. Wahrscheinlich an einen Komplizen, der draußen im Wagen wartete. Selbst zu Fuß könnte er in zehn Minuten im Hotel sein.
    Sie nahm die Kette aus der Schatulle und hängte sie sich um den Hals, kaltes Metall auf kalter Haut. Mark öffnete den Mund, als würde er ihr am liebsten Einhalt gebieten, sagte aber nichts.
    «Was wollen Sie von Michael?», fragte sie.
    Mark strich mit der Hand über seine Haare. «Wir wollen an Dragović heran und hoffen, dass Michael uns zu ihm führen kann.»
    «Und was hat Michael zu erwarten?»
    «Eine Haftstrafe vielleicht. Vielleicht auch nicht, wenn er erfolgreich mit uns kooperiert und einen guten Anwalt findet.»
    «Er zielt auf dasselbe ab wie Sie», protestierte Abby. Sie starrte in Marks junge Augen und machte aus ihrem Abscheu kein Hehl. «Er will Dragović das Handwerk legen.»
    «Warum verpfeifen Sie ihn dann?»
    Abby stand unvermittelt auf. Mark sprang hoch, so hastig, dass er an den Tisch stieß und die Tassen klapperten. Der Mann im grünen Anorak drehte sich um.
    «Keine Panik», sagte Abby. «Ich muss nur kurz aufs Klo.»
    Bevor irgendjemand sie aufhalten konnte, eilte sie zur Toilette und schloss sich in einer Kabine ein. Sie lauschte auf Schritte, hörte aber nichts. Die Toilette befand sich im hinteren Teil des Kaffeehauses und war fensterlos. Fliehen konnte sie nicht.
    Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und machte sich an die Arbeit.
    Als Erstes klappte sie den WC-Deckel zu und holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Manteltasche: die von Gruber lesbar gemachte Scan-Kopie der Papyrusrolle, auf der die Schriftzeichen klar und deutlich zu erkennen waren. Sie breitete das Blatt auf dem Toilettensitz aus, nahm die Kette vom Hals und legte sie auf das Blatt.
    Der quadratisch geschnittene Anhänger passte genau auf den Textkörper. Abby sah näher hin und hielt unwillkürlich die Luft an. Die in Gold eingefassten Glasperlen kamen jeweils auf bestimmten Schriftzeichen zu liegen.
    Wieder schaute sie auf die Uhr. Eine Minute war vergangen.
    Mit zitternden Händen holte sie die Lupe hervor, die sie in Zadar

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