Die Geheimnisse der Toten
fein, als dass sie hätte wissen können, wie Soldaten und Fischweiber fluchen.»
«Als Tochter eines Bordellbetreibers würdest du es wohl wissen», blafft Fausta.
Helena ignoriert die Beleidigung und fasst Konstantin ins Auge. «Die besagte Frau von Adel ist deine Frau. Sie schrieb den Fluch auf die Bleitafel und versteckte sie unter Crispus’ Bett.»
Faustas Wangen entflammen. «Du glaubst dieser Priesterin? Und einer Prostituierten? Und was ist mit den Wachen, die gestanden haben, von Crispus bestochen worden zu sein, um sich gegen meinen Gatten zu wenden?»
«Auch mit ihnen habe ich gesprochen.» Helenas Tonfall ist so spitz wie die Haken im Verlies. «Sie haben ihre Aussage zurückgezogen.»
Ihre Blicke durchbohren Fausta, die ihr trotzig ins Gesicht starrt. Wenn diese Frauen über Streitkräfte verfügen könnten, müsste die Welt erzittern.
Beide wenden sich an Konstantin, der dem Wortwechsel schweigend zugehört hat. Ihm ist kaum etwas anzumerken, nur wenn der Name Crispus fällt, zuckt sein Gesicht.
Der ganze Raum hält die Luft an.
«Was ist mit Claudius?», frage ich. Wie alle anderen bin ich selbst überrascht, meine eigene Stimme zu hören. Schmerz und Schwindel haben mich vergessen lassen, was sich gehört. «Fausta behauptet, Crispus habe ihn zu töten versucht.»
Alle Augen richten sich auf die drei Jungen. Sie sind noch Kinder. Claudius, der Älteste, ist erst zehn. Sie halten sich stolz. Ihre Mutter hat immer Wert darauf gelegt, dass sie sich ihres Standes bewusst sind. Aber es wird auch deutlich, dass sie der Situation nicht gewachsen sind. Constans, der Jüngste, kämpft gegen Tränen. Claudius fleht seine Mutter mit stummem Blick an, für ihn zu sprechen. Seinem Vater wagt er nicht in die Augen zu sehen.
«Sie wollte es so.»
Es ist nicht Claudius, der spricht, sondern sein Bruder Constantius. Den Kopf hoch erhoben, tritt er vor. «Unsere Mutter hat Claudius das Ohr abgeschnitten und von uns verlangt, dass wir Crispus die Schuld daran geben.» Er riskiert einen scheuen Blick auf seinen Vater. «Wir wollten das nicht.»
Eine beklemmende Stille greift um sich. Fausta starrt entsetzt ins Leere. Konstantin wirkt wie versteinert. Nur Helena scheint ungerührt. Sie hat nichts anderes erwartet.
«Wie alt bist du?», fragt sie Constantius. Er ist ihr Enkel, was man aber im Moment kaum für möglich hält, so unerbittlich herrscht sie ihn an.
«Fast neun.»
«Also alt genug, um zu wissen, was eine mörderische Lüge ist.»
Er windet sich. «Unsere Mutter hat es so gewollt.»
«Hättet ihr auch euren Vater im Schlaf erdolcht, wenn sie es gewollt hätte?»
«Nein.» Es ist der erste Laut, den Konstantin aus sich hinauspresst. «Nicht die Kinder …»
«Sie sind Komplizen.»
«Sie sind deine Kinder», fleht Fausta.
Dazu zählte auch Crispus , denke ich.
«Crispus war wertvoller als alle drei zusammen.» Helena hasst diese Familie abgrundtief, seit sie von Konstantins Vater einer der Töchter des alten Maximian zuliebe verstoßen wurde. Nun, zum Ende ihres Lebens, fühlt sie sich ein zweites Mal beraubt.
«Sei gnädig», bettelt Fausta. Sie muss wissen, dass sie ihr Leben verwirkt hat, kämpft aber wie eine Löwin um ihre Jungen. Sie wirft sich auf den Boden, ergreift Konstantins purpurrote Schuhe und bedeckt sie mit Küssen, bis Helena dazwischenfährt und sie mit Füßen tritt. Sie kam als Kind eines Stallknechts zur Welt, und auch mit achtzig ist sie so kräftig wie eh und je. Schreiend weicht Fausta zurück. Blut tropft von ihren Lippen. Und Konstantin rührt sich nicht. Lange schauen die drei einander an – wie Sklaven, die an ein sinkendes Schiff gekettet sind. Fausta wimmert. Helena keucht. Konstantin steht da wie sein eigenes Standbild.
Constans, der Jüngste, überrascht damit, dass er als Erster reagiert. Er ist erst sechs, hat den Kopf voller blonder Locken und die bleiche Haut eines Barbaren. Er läuft herbei und umklammert Konstantins Beine mit seinen Armen.
«Wann kommt Onkel Crispus nach Hause?»
Eine Träne rinnt über Konstantins Gesicht. Er geht in die Hocke, umarmt seinen Sohn und schließt die Augen vor Schmerz.
Nach dem, was gerade geschehen ist, ist jeder im Raum empfänglich für diesen zärtlichen Moment. Wir alle hoffen dringend auf Versöhnung. Aber ich habe meine Zweifel. Diese Familie ist untereinander zerstritten wie die Götter von einst. Fausta betrog den alten Maximian, als er gegen Konstantin intrigierte; jetzt haben Constantius und Constans ihre
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