Die Geheimnisse der Toten
auch Symmachus zugegen war, was erklären würde, wie er an Alexanders Dokumentenkoffer gelangte. Er war in seinem Besitz, doch dann bekam er kalte Füße und versuchte, ihn zurückzugeben, dummerweise so ungeschickt, dass er gestellt wurde.
Wieso aber war ihm, Porfyrius, dieses Gedicht so wichtig? Machte er sich Sorgen wegen der Anspielungen auf Crispus? Das kann doch kaum einen Mord rechtfertigen. Porfyrius war allerdings schon einmal verbannt worden. Vielleicht wollte er die Schrecken des Exils nicht erneut erleiden müssen.
Ich lege den Anhänger der Kette wieder auf das Gedicht und hoffe, etwas zu entdecken, was mir bislang entgangen ist.
In das Geflecht aus Gold sind fünf rote Glasperlen eingefasst. Sie bilden ein Kreuz, und durch das Glas hindurch schimmern Wortfragmente. Ich presse meine Hand auf den Anhänger, damit die Perlen auf dem Pergament darunter einen Abdruck hinterlassen. Dann schiebe ich die Kette beiseite und schaue mir das Ergebnis an.
SIGNUM INVICTUS SEPELIVIT SUB SEPULCHRO. Der Unbesiegte versteckte sein Zeichen unter seinem Grabmal.
Ich weiß nicht, was das bedeuten soll, und kann mir keine weiteren Gedanken darüber machen, denn ich muss mich beeilen, um rechtzeitig bei den Feierlichkeiten zur Beisetzung zu sein.
Die Prozession hat wohl in diesem Augenblick begonnen. Falls Flavius Ursus achtgibt, wird ihm auffallen, dass ich meinen Platz noch nicht eingenommen habe, und er wird einen seiner Offiziere darüber in Kenntnis setzen. Ich komme zu spät. Vom Palast zum Mausoleum sind es fast zwei Meilen; der Weg dorthin wird mindestens eine Stunde dauern. Ich weiche in eine Seitengasse aus, um den Trauerzug zu umgehen, und stoße auf eine breite, leere Straße, der ich in westlicher Richtung folge. In der Ferne höre ich die Rufe der Menge. Es klingt wie Meeresbrandung, gedämpft von absoluter Windstille. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind der Stadt werden auf den Beinen sein. Ich lege eine volle Meile zurück, und das einzige Lebewesen, das mir vor die Augen kommt, ist eine Katze, die eingerollt in einem Hauseingang liegt. Die Fensterläden sind geschlossen, die Geschäfte verrammelt. Ich komme mir mutterseelenallein auf der Welt vor.
Das ändert sich, als ich mich dem Mausoleum nähere. Schon sehe ich den Kupferdom über den Hausdächern ringsum schweben, das goldene Gitterwerk in den Mauerbögen darunter. Nervöse Soldaten halten zu zweit oder zu dritt an Straßenkreuzungen Wache. Es wird noch etwas dauern, bis der Katafalk hier aufkreuzt, aber hinter den hölzernen Straßensperren haben sich schon zahllose Trauergäste eingefunden.
Die Straße endet vor einer Mauer. Zwanzig Soldaten der Schola bilden ein menschliches Tor für den letzten Gang des Kaisers. Ich zeige ihnen meine Vollmacht, jenes zweigeteilte Täfelchen aus Elfenbein, das mir Konstantin am Tag des Mordes an Alexander gegeben hat. Dass sie mit dem Tod des Kaisers erloschen ist, kümmert sie nicht weiter. Tagtäglich werden immer noch unter seinem Namen Gesetze verabschiedet und Münzen geprägt. Die Bürokratie lässt ihn ewig leben.
«Ist Publilius Porfyrius eingetroffen?», frage ich eine der Wachen.
«Er ist schon seit heute Morgen hier.» Er nickt in Richtung Mausoleum. «Es musste alles ganz schnell gehen. Der Bauleiter wollte, dass er die Fundamente inspiziert, um ganz sicher zu sein. Wäre ja auch peinlich, wenn die Mauern einstürzen würden, und die ganze Stadt schaut zu.»
«Wo ist Flavius Ursus?»
«Er nimmt an der Prozession teil.»
«Du musst ihm eine Nachricht von mir übermitteln, so schnell wie möglich und auch auf die Gefahr hin, dass du dem Katafalk des Kaisers in die Quere kommst.» Ich wiederhole die fünf Wörter der geheimen Botschaft des Dichters. «Sag ihm, die Nachricht ist von mir, Gaius Valerius.» Ich halte ihm noch einmal meine Vollmacht unter die Nase. «Sofort!»
Er schaut mich verdutzt an, und noch verdutzter, als ich an ihm vorbei auf die Pforte zu trete. «Wohin?»
«Ich muss Porfyrius finden.»
Das Gemäuer umschließt ein breites, quadratisches Feld, das sich über die ganze Hügelkuppe erstreckt. Eines Tages wird es ein Garten sein, zurzeit ist es noch eine Baustelle. Braune Stellen im Gras zeigen, wo bis vor kurzem Ziegel und Bauholz gestapelt lagen. Konstantins Vermächtnis ist immer noch in Arbeit. Von den Säulenreihen, die die mächtige Rotunde des Mausoleums umgeben sollen, stehen erst drei; die vierte Seite muss noch geschlossen werden.
Vor der in Gold erglänzenden
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