Die Geheimnisse der Toten
überhaupt noch irgendetwas, das nicht irgendeiner zickigen Glaubensgemeinschaft gehört, die mit heiligen Kriegen droht?»
«Warum schalten Sie nicht die Polizei ein?», fragte Abby.
«Das bringt doch nur Ärger.» Mark schüttelte den Kopf. «Unser Botschafter in Ankara muss gerade vor dem türkischen Geheimdienst zu Kreuze kriechen und erklären, warum wir fünfhundert Polizisten mobilisiert haben, fast in eine ihrer heiligsten Moscheen eingedrungen und dann wieder abgezogen sind, ohne auch nur danke schön gesagt zu haben. Ab sofort halten wir uns strikt an glaubwürdige Informationen.»
«Schön für Sie. Ist doch mal was anderes.»
Ein weißer Fiat bog in die Tankstelle ein und hielt neben ihnen an. Mark kurbelte die Seitenscheibe herunter und deutete dem Fahrer an, auch sein Fenster zu öffnen. Barry schaukelte seine schwarze halbautomatische Pistole auf dem Schoß.
«Dr. Lusetti?», fragte Mark.
Der Fiat-Fahrer nickte. Alle stiegen aus und schüttelten sich die Hände wie Handelsvertreter, die sich zu einer Fahrgemeinschaft zusammenschließen. Dr. Mario Lusetti von der päpstlichen Kommission für archäologische Studien war ein mittelalter Mann mit sehr kurz geschorenen Haaren und randloser Brille. Er trug Jeans, ein weißes Hemd und einen schwarzen Blazer. Er sah aus, als würde er nicht allzu oft lächeln; jetzt aber wirkte er geradezu unglücklich.
«Warum wollen Sie die Katakombe sehen?»
«Wir glauben, dass einige der meistgesuchten Männer Europas – gefährliche Verbrecher – einzubrechen und ein ungemein wertvolles Artefakt zu stehlen versuchen», erklärte Mark viel zu laut – ein Engländer in der Fremde. Er klang auf lächerliche Weise melodramatisch.
Lusetti schürzte seine Lippen und ließ einen Schwall Luft ab. «Die Katakombe hat eine Grundfläche von dreißigtausend Quadratmetern. Die Gänge sind insgesamt viereinhalb Kilometer lang und erstrecken sich über drei Ebenen. Zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend Tote liegen darin begraben. Gut möglich, dass noch weitere, bislang nicht entdeckte Stollen darin zu finden sind. Übrigens, die Katakombe wurde im 16. Jahrhundert freigelegt. Seitdem hatte sie Besuch von sämtlichen Grabräubern und Dieben Roms. Wenn die Männer, nach denen Sie fahnden, auf ein bestimmtes Artefakt aus sind, kommen sie wahrscheinlich vierhundert Jahre zu spät. Wenn nicht, werden sie weitere vierhundert Jahre suchen müssen, bis sie es finden.»
«Sei’s drum. Hauptsache, wir finden sie .»
Connie blieb im Wagen zurück. Lusetti führte die anderen über die Straße auf das kleine Tor zu und schloss es auf. Sie liefen durch die enge Gasse dahinter. An deren Ende ging es weiter durch ein zweites Tor, an einem Stacheldrahtzaun vorbei hin zur alten Rotunde, die von einem schmalen, gepflasterten Streifen umgeben war. Von nahem sah Abby, wie groß der Bau ursprünglich gewesen sein musste, denn ein zweigeschossiges Haus, das man später zwischen den Ruinen errichtet hatte, verschwand gleichsam darin. Ein paar Betonpfeiler und zuzementierte Bruchstellen im Gemäuer zeugten von halbherzigen Restaurierungsmaßnahmen, die offenbar schon vor einiger Zeit eingestellt worden waren.
«Kennen Sie die Geschichte dieser Rotunde?», fragte Lusetti. «Sie war die Grabstätte der heiligen Helena. Kaiser Konstantin hatte beschlossen, sich nicht in Rom beisetzen zu lassen, und überließ das Mausoleum seiner Mutter. Der Grund, auf dem es steht, war früher der Friedhof der kaiserlichen Reitergarde, die in der Schlacht an der Milvischen Brücke gegen Konstantin gekämpft hatte. Er zerschlug die Legion und pinkelte auf ihre Gebeine.»
Er schloss die Tür zu dem Haus auf und führte sie in eine Halle, deren Boden mit Marmor ausgelegt war. Zugezogene Fensterläden verdunkelten den Raum. Abby schmeckte den Staub in der feuchten Luft.
«Das ganze Gelände hier war jahrhundertelang ein kaiserliches Grundstück namens Ad Duas Lauros. Nach der Beisetzung der Kaiserwitwe Helena vermachte Konstantin diesen Besitz der Kirche. Er ist immer noch der unsrige.»
Zwei Besitzer in zwei Jahrtausenden. Abby bekam in diesem Moment eine Ahnung davon, in welchen Zeitmaßen Päpste und weltliche Herrscher rechneten.
Von hölzernen Wandhaken nahm Lusetti Helme, Stirnlampen und Schutzwesten. Mit Blick auf deren fluoreszierende Streifen machte Barry ein skeptisches Gesicht.
«Fallen wir damit nicht allzu sehr auf? Wir jagen doch Verbrecher.»
«In den Katakomben ist es stockfinster. Könnte
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