Die Geheimnisse der Toten
und sie nicht gefunden.
«Wo ist Francesca?», fragte sie Mark, als er mit zwei Bechern Tee aus Quellen des öffentlichen Dienstes zurückkehrte.
«Auf einer Konferenz in Bukarest. Sie hat mir den Auftrag gegeben, Sie über alles, was Sie wissen wollen, zu informieren.»
«Wann kann ich wieder arbeiten?»
Er zog den Teebeutel aus seinem Becher und warf ihn in den Abfalleimer. «Tut mir leid, wenn ich darauf eine Antwort wüsste, hätte ich bereits eine höhere Besoldungsstufe erreicht.»
Auf welcher bist du? Seiner Visitenkarte nach gehörte er dem Balkan-Büro an. Davon hatte sie noch nie etwas gehört.
«Ich will wieder arbeiten», betonte sie. «Die Ärzte meinen, es täte mir gut.»
Er schaute sie an und schien ihr zu glauben, es sei denn, er legte es nur darauf an, ihr diesen Eindruck zu vermitteln. «Sie waren achtzehn Monate im Auslandseinsatz und hatten davor fünf Jahre lang keinen Job hier in London. Aber man wird bestimmt bald etwas für Sie finden.»
Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, das auf Abby, die immerhin acht Jahre älter war als er, ziemlich gönnerhaft wirkte. Entsprechend glatt fiel ihr erwiderndes Lächeln aus.
«Gibt es Nachrichten aus Montenegro? Von der Polizei? Macht sie Fortschritte?»
«Sie hält uns auf dem Laufenden.»
«Weiß man, wer mich angegriffen hat?»
«Festgenommen wurde bislang niemand.»
«Irgendwelche Hinweise?»
«Wahrscheinlich.» Mark streckte seine Beine aus und hob die Schuhspitzen an, als bewunderte er sie. «Sie wissen doch, wie das ist. Wir müssen darauf achten, dass sich niemand vor den Kopf gestoßen fühlt. Die Montenegriner sind erst seit fünf Minuten unabhängig und ziemlich empfindlich, was dies betrifft. Jedenfalls werden sie sich nicht unter Druck setzen lassen. Ich glaube trotzdem, dass sie kooperieren.»
«Ich habe im Internet etwas gelesen – von Gerüchten, wonach das organisierte Verbrechen involviert sein könnte.»
«Sie wissen genauso gut wie ich, dass der ganze Balkan eine einzige Gerüchteküche ist. Wenn dann auch noch das Internet ins Spiel kommt, wird am Ende wahrscheinlich sogar dem Weihnachtsmann eine Mittäterschaft angedichtet.» Er errötete angesichts der Miene, die sie zog. «Tut mir leid. Ich wollte mich nicht über Sie lustig machen. Schlimm genug, was Sie durchgemacht haben.»
Schlimm genug. Abby schloss die Augen. Sie spürte Kopfschmerzen aufwallen, und das Pochen in der Schulter verlangte nach einem Schmerzmittel.
Sie öffnete die Augen wieder. Mark blickte von seiner Armbanduhr auf und gab sich besorgt.
«Gibt es sonst noch etwas?»
«Wissen Sie, was mit Michael passiert ist?»
Er wirkte überrascht. «Ich dachte, das wüssten Sie. Es heißt, er sei gestürzt –»
«Ich weiß. Ich meine …» Es fiel ihr schwer, das Wort über die Lippen zu bringen. «Mit seinem Leichnam.»
«Er hat eine Schwester, die in York lebt. Soviel ich weiß, ist sie nach Montenegro geflogen und lässt ihn überführen, damit er zu Hause bestattet werden kann.»
«Kennen Sie ihre Adresse? Ich würde ihr gern schreiben.»
«Die Personalabteilung wird Ihnen da wahrscheinlich weiterhelfen können. Sie hat den Kontakt hergestellt.»
Mark stand auf und lächelte süßlich. Es schien, als wollte er ihr auf die Schulter klopfen, was er dann aber doch nicht tat.
«Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute ist. Das Beste wäre, Sie blieben zu Hause und ruhten sich aus.»
Bitte , wollte sie sagen, verlangen Sie nicht, dass ich zu Hause bleibe . Und doch ließ sie zu, dass er die Tür öffnete und sie nach draußen führte. Sie hoffte, nur zum Fahrstuhl gebracht zu werden, aber er bestand darauf, sie bis auf die Straße hinunterzubegleiten.
«Viel Glück», sagte er. «Wenn es Neuigkeiten gibt, melden wir uns bei Ihnen.»
«Mein Festnetzanschluss ist gesperrt.» Sie holte ihr neues Handy aus der Tasche und gab ihm ihre Nummer. «Darüber können Sie mich erreichen.»
Mit seinem Anruf rechnete sie jedoch nicht.
Auf dem Nachhauseweg kaufte sie sich ein Curry, das sie auf dem Sofa und mit untergeschlagenen Beinen verspeiste. Sie nahm wieder zu, hatte aber im Krankenhaus so viel Gewicht verloren, dass es sie nicht weiter störte. Als sie durch das Fenster auf die Vorstadtsiedlung hinabblickte, stellte sie sich vor, eine riesige Glaskuppel würde die gesamte Stadt und deren Bewohner in ihrem Alltag einschließen, und sie schwebte darüber und klopfte an, um hereingelassen zu werden.
Eine ganze Stunde lang suchte sie im Netz
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