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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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die, soweit sich der Pförtner erinnert, an diesem Nachmittag in der Bibliothek waren. Im Laufe der vergangenen zwei Stunden habe ich diejenigen vernommen, die noch zugegen waren, konnte aber nicht das Geringste erfahren. Keiner hat etwas gesehen oder gehört. Auch ist die Halskette niemandem vorher zu Gesicht gekommen. Ich habe den leisen Verdacht, die ganze Sache könnte eine ausgeklügelte Falschmeldung sein.
    Das Blut auf dem Schreibtisch aber war durchaus real, und auf meiner Liste stehen Namen von Männern, mit denen ich noch nicht gesprochen habe. Den Anfang will ich mit Aurelius Symmachus machen, dem notorischen Christenhasser.
    Er war hier … kurz bevor ich die Leiche fand, ist er gegangen.
    Aurelius Symmachus wohnt seiner gesellschaftlichen Stellung gemäß ganz in der Nähe des Palastes. Sein Torwächter schaut mich verwundert an, als ich mich ankündige. Er kann kaum glauben, dass ich allein komme. Er reckt den Hals auf der Suche nach einer Begleitung und fällt fast auf die Straße. Natürlich hat er Anstand genug, keine Fragen zu stellen. Er lässt mich eintreten und führt mich durch einen von Säulen umringten Garten. In einem länglichen Wasserbecken steht reglos ein weißer Karpfen, auf den ein Quartett aus Steinnymphen herabschaut. Im Schatten hinter den Säulen erblicke ich ruhende Göttergestalten. Aus Nischen starren mir finstere Köpfe entgegen. Alles, was ich sehe, ist von erlesener Qualität und eigentümlich tot.
    Aus einer Tür tritt Aurelius Symmachus. Er wirft einen Blick über die Schulter, als habe er gerade einen Gesprächspartner hinter sich verlassen. Er ist klein gewachsen und gedrungen und geht an einem Stock. Auf dem fast kahlen Kopf sind ihm nur ein paar weiße Strähnen hinter den Ohren geblieben. Er trägt eine Toga. Offenbar hat er sich für irgendeinen Empfang zurechtgemacht. Trotzdem kommt er mir in diesem Moment vor wie ein leibhaftiger Anachronismus. Sein Kinn aber ist stolz aufgerichtet, und die Augen funkeln so klar wie Diamanten.
    Wir tauschen Höflichkeiten aus und taxieren einander. Ich vermute, er hält mich für einen einfachen Soldaten und Emporkömmling, der aus unerfindlichen Gründen von einem großen Mann gefördert wurde. Und vielleicht ahnt er, dass er in meinen Augen ein Fossil ist, der Überlebende einer längst ausgestorbenen Art. Aber wir sind beide alt genug, um uns vor Vorurteilen in Acht zu nehmen.
    «Warst du heute Nachmittag in der Ägyptischen Bibliothek?», frage ich.
    Er kratzt mit seinem Stock über den Boden und zeichnet eine Schlangenlinie in den Staub. «Ja.»
    «Warum?»
    «Um zu lesen.» Er zieht eine buschige weiße Braue hoch, als wollte er mir sagen: Ich hatte mir mehr von dir erwartet.
    «Wessen Schriften? Womöglich Texte von Hierocles?»
    «Nein. Seneca, auf den ich immer wieder zurückkomme, und Marcus Aurelius. Beide haben uns und unserer Zeit viel zu sagen.»
    Er verzieht keine Miene. Ich auch nicht. Sein Stock zeichnet immer noch Muster in den Staub.
    «Was sagen sie?», frage ich.
    «Wie albern es ist, auf das, was passiert, überrascht zu reagieren.» Der Stock steht für einen Moment still. «Ich habe Bürgerkriege und Frieden erlebt, Zeiten, in denen es einen Kaiser gab, mehrere oder keinen. Mal wurde ein abwegiger Kult verteufelt, mal triumphierte ebendieser Kult. Alles wandelt sich – nicht einmal die Götter bleiben gleich.»
    Hält er mich für einen jungen Schnösel? Das alles weiß ich wohl selbst, und ich werde mich von seinem Geschwätz nicht ablenken lassen.
    «In der Bibliothek wurde heute ein Mann getötet.»
    Er verzieht immer noch keine Miene. «Alexander von Cyrene.»
    «Du kanntest ihn?»
    «Er war ein Freund des Kaisers. Grund genug, ihn zu kennen.»
    Ich bewundere die Zweideutigkeit des alten Philosophen. Grund genug – wie meint er das? Gäbe es sonst keine Gründe? Mir ist klar, dass er nicht zuletzt auf mich anspielt.
    «Hast du ihn in der Bibliothek gesehen?»
    «Sie ist kein Badehaus. Ich gehe nicht dorthin, um Gesellschaft zu suchen.»
    «Wann bist du wieder gegangen?»
    «Als kein Sonnenlicht mehr auf mein Lesepult fiel.» Er streicht mit der Hand über seine Augen. «Meine Sehkraft hat nachgelassen.»
    «Wusstest du zu diesem Zeitpunkt, dass Alexander tot ist?»
    «Natürlich nicht. Ich wäre sonst geblieben.»
    «Um zu sehen, was passiert ist?»
    «Um nicht in Verdacht zu geraten.»
    Ich betrachte den Fisch im Wasser, der so unbewegt ist wie die Spiegelungen an der Oberfläche. Das Haus liegt an der

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