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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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zur Tür.
    «Seien Sie auf der Hut», warnte er.
    «Davor, dass mich meine Regierung einsperrt und ausraubt?»
    «Die Mörder von Michael haben es wahrscheinlich auch auf Sie abgesehen.»
    Er zog seine Schlüsselkarte durch den Schlitz, worauf das Rotlicht auf Grün wechselte. Wortlos trat Abby durch die Tür. Keiner versuchte, sie aufzuhalten.

    Sie wusste nicht, wohin. Sie kam sich vor, als baumelte sie an einem Seil in der Luft, für alle sichtbar und Ziel des Spotts. Jeder Blick, der auf sie traf, jeder Schritt, der ihr folgte, und jeder Rempler im Gedränge rund um den Trafalgar Square wirkten auf sie wie der Vorwurf einer unsäglichen Schandtat. Um solchen Dingen entgegenzuwirken, sind wir auf den Balkan geschickt worden, dachte sie. Grundlose Schuldzuweisungen, Anklagen ohne Beweise. Oder die willkürliche Beschlagnahme persönlicher Wertgegenstände.
    Das schmerzte am meisten. Die Kette war Michaels letztes Geschenk an sie. Sie fortgegeben zu haben kam ihr vor wie ein Verrat.
    Was interessiert dich eigentlich noch an dieser ganzen Geschichte? , fragte eine innere Stimme sie müde. Eine andere, festere und entschlossene, hatte die Antwort darauf: Dass ihm Gerechtigkeit widerfährt.
    Abby wanderte umher, ziellos zuerst, aber allmählich nahm ein Plan in ihrer Vorstellung Gestalt an. Sie beschleunigte den Schritt und bemerkte zu ihrer Erleichterung, dass die Narbe an der Seite nicht mehr allzu sehr schmerzte. Sie ging über die Southampton Row, am Russell Square und dem British Museum vorbei, und hielt sich dann in nordöstlicher Richtung, bis sie die Euston Road erreichte. Auf der anderen Seite ragte die British Library auf, der ausladende Ziegelkomplex im Schatten der St.-Pancras-Station. Im Innenhof hockte ein Bronzeriese, der, weit vornübergebeugt, mit einem Zirkel die Gesetze der Natur absteckte. Zwei blattlose Metallbäume flankierten den Eingang, wo eine Sicherheitsangestellte mit Gummihandschuhen Abbys Handtasche durchsuchte.
    Da ist nichts drin!, wollte sie schreien.
    Sie hatte das Ministerium ohne ihre Kette verlassen, war aber nicht mit leeren Händen gekommen. Man hatte ihr einen Namen genannt, und Namen, so wusste sie aus zehnjähriger Erfahrung im Klinkenputzen, öffneten Türen. Ja, sie mochten sogar durch Labyrinthe führen.
    Sie steuerte geradewegs auf den Lesesaal zu, setzte sich vor einen Computer und fing an zu suchen. Antworten auf ihre Fragen ließen nicht lange auf sich warten.
    Zoltán Dragović. Kriegsverbrecher, Zuhälter, Drogenbaron, Spitzel – das volle Balkanprofil. Schwerreich, wahrscheinlich Milliardär. Geburtsort unbekannt, um 1963 zur Welt gekommen. Gerüchten nach als Kind eines albanischen Vaters und einer serbischen Mutter, obwohl sich bis heute niemand fand, der die Elternschaft zugegeben hätte. Vermutlich war er Mitte der 1980er Jahre im römischen Untergrund aktiv gewesen, zuerst als Handlanger, dann als Rivale der berüchtigten Banda della Magliana . Ließ sich einschlägigen Berichten nach auf deren Spiel ein und siegte blutig. Kehrte 1991 nach Jugoslawien zurück, gerade rechtzeitig, um die Auflösung des Landes mitzuerleben und davon zu profitieren.
    Sie las weiter. In den Jahren zwischen 1991 und 1995 machte Dragović Karriere. Man mochte der NATO vorwerfen, dass sie das Land ins Mittelalter zurückbombardiert hatte: Dragović war dort längst angekommen und herrschte wie ein Barbarenfürst über ein Reich, das auf Plünderung, Vergewaltigung und Dauerkrieg basierte. Sensenmann , so wurde er genannt. Seine paramilitärischen Truppen wurden zahlenmäßig nur von der Nationalen Armee Jugoslawiens übertroffen, standen aber in ihrer brutalen Effizienz an erster Stelle. Während andere für politische oder religiöse Ziele töteten, konzentrierte sich Dragović auf Bargeld. Die gegen die Serben verhängten Sanktionen ließen die Preise in die Höhe schießen und somit auch seine Profite. Schweröl, Gold, Zigaretten, Schuhe – auf allem, wofür es einen Markt gab, hatte Dragović seinen Daumen. Aus dem Museum von Sarajevo geplünderte Kunstwerke verhehlte er an private Sammler in ganz Europa.
    Als nach dem Dayton-Abkommen der Krieg beendet wurde, ging Dragović in den Untergrund. Während seine Anhänger und Mitstreiter ihren Kriegsgewinn in Alkohol-, Drogen- und Mordorgien in Belgrad verpulverten, blieb er von der Bildfläche verschwunden. Es hieß, er fürchte Repressalien jener Staatsapparate, die ihn mundtot machen wollten. FÜRCHTET SICH DER SENSENMANN VORM TOD?,

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