Die Geheimnisse der Toten
mit ihr aufnehmen konnte, und das war Mark.
Was willst du noch?
Zitternd in der kalten Abendluft, holte sie das Handy aus der Tasche und rief die Nachricht auf. Seltsamerweise war die Nummer des Absenders unterdrückt.
ARCUMTRIUMPHISINSIGNEMDICAVIT. Freitag 17h. Ich kann helfen.
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12
Konstantinopel – April 337
Ich erwache im Morgengrauen mit einem Messer in der Hand unterm Kissen. Während der Nacht hat jemand die Öllampe entfernt. Mir wird angst und bange – was ist sonst noch verschwunden? Ich tappe mit der Hand übers Bett und stelle erleichtert fest, dass Alexanders Buch und die Kette noch da sind. Die Lampe scheint einer meiner Sklaven fortgenommen zu haben. Er hat es allerdings nicht riskiert, mich zuzudecken. Meine Sklaven wissen, dass sie mich im Schlaf nicht berühren dürfen.
Ich wasche mich, ziehe mich an und huldige meinen Göttern. Das Haus ist ein Geschenk von Konstantin und typischerweise extravagant: viel zu groß für einen einsamen alten Mann. Die meisten Räume bleiben verschlossen wie weit zurückweichende Erinnerungen.
Mein Diener bringt Brot und Honig und meldet Besucher. Es scheint, als wandere das Gespenst meines Ruhms noch immer durch die Straßen der Stadt und flüstere einigen wenigen fehlgeleiteten Seelen ein, ich stünde in der Gunst des Kaisers. Für gewöhnlich lasse ich sie ungehört fortschicken. In will keine Zeit mit ihnen verschwenden.
Der Diener liest von seiner Liste ab: «Und dann wäre da ein Priester. Ein Christ.»
Ich stöhne. Bis gestern glaubte ich noch, mit Christen nichts mehr zu schaffen zu haben. Jetzt stören sie mein Frühstück.
«Er sagt, sein Name sei Simeon.»
Ich beiße in mein Brot und lasse mir nichts anmerken. So etwas will einstudiert sein. Sklaven kennen einen besser als die Höflinge; sie lassen sich nicht so leicht hinters Licht führen.
«Ich werde mich zuerst um den Priester kümmern.»
Der Diener nickt, als habe er nichts anderes erwartet. Er versteht sich auf dieses Spiel noch besser als ich.
«Führe ihn in den Empfangsraum.»
Eine Viertelstunde später erwartet mich Simeon ebendort. Es ist ein schäbiger Raum mit einfach verputzten, ungestrichenen Wänden und schwarz-weißen Bodenfliesen. Wenn ich denn, was selten vorkommt, Bittsteller empfange, lasse ich sie in diesen Raum bringen, um ihnen meine bescheidenen Verhältnisse vor Augen zu führen. Es gefällt mir zu sehen, wie ihnen die Kinnlade herunterfällt.
Simeon zeigt sich unbeeindruckt. Er steht mitten im Zimmer, die Hände auf dem Rücken, und blickt lächelnd empor auf einen feuchten Fleck an der Decke. Christen sind verschlagen in dieser Beziehung: Sie geben sich aufreizend demütig.
«Ich habe noch nicht herausgefunden, wer Alexander getötet hat, wenn es das ist, was du wissen willst», sage ich.
Er ist sichtlich irritiert und errötet. Seine Miene zeigt Verärgerung. Ich beobachte ihn und bilde mir ein Urteil. Bislang habe ich ihn nur zweimal gesehen: am Tatort vor Alexanders Leichnam und in seiner verwüsteten Wohnung. Entweder hat er das ungünstige Talent, immer zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, oder er ist so schuldig wie Romulus.
«Ich dachte, du könntest vielleicht heute noch Bischof Eusebius aufsuchen.»
«Vielleicht.» Warum macht er mir diesen Vorschlag? Um den Verdacht von sich abzulenken? «Du sagtest doch, ein Bischof kann es unmöglich gewesen sein.»
«Ich könnte dir, was ihn betrifft, helfen.»
«Brauche ich denn Hilfe?»
«Weißt du, wo er zu finden ist?»
Ich muss lachen, was Simeon noch mehr in Wut bringt. Er ist so ungehobelt! Konstantinopel hat ihm offenbar immer noch keine Manieren beigebracht. Ihm fehlt der Feinschliff. Es wäre jammerschade, wenn ich ihn als Mörder überführen müsste.
Bischof Eusebius zu finden ist eigentlich nicht schwer, wären da nicht die Menschentrauben um ihn herum. Er ist in der Kirche, die Konstantin neben seinem Palast hat bauen lassen, am äußersten Ende der Halbinsel. In einem Anflug von Optimismus oder Wunschdenken widmete Konstantin sie dem heiligen Frieden.
Von meinem Zuhause habe ich es nicht weit bis dorthin, aber es ist schon so heiß, dass ich schweißgebadet bin, als ich ankomme, das Gesicht staubverschmiert. Von den Häusern flattern Fahnen im böigen Wind, der vom Meer weht. Konstantinopel besteht aus zwei Städten: derjenigen, die es bereits gibt, und der, die im Entstehen begriffen ist. Die lebendige Stadt ist voller Krämer und Bademeister, die aufdringlich
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