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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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der Welt.»
    Ich überquere den Platz, stelle mich vor den alten Mann und reiße ihn aus seinen Gedanken. Er wartet darauf, dass ich weitergehe, doch ich zwinge ihn, zu mir aufzublicken.
    Von oben betrachtet, gibt er, wie er da hockt, ein kümmerliches Bild ab. Sein Gesicht ist grau und voller Leberflecken. Die unter den Ärmeln versteckten Hände umschlingen seine Knie.
    Ich setze mich neben ihn auf die Stufe. «Es muss schwer sein für dich. So als hättest du deine erste Liebe vor Augen, die inzwischen einen anderen Mann und Kinder hat.»
    Sein Blick bleibt unverwandt auf die Kirche gerichtet. Er reagiert nicht.
    «Vielleicht sollte ich mich vorstellen. Ich bin –»
    «Gaius Valerius Maximus.» Er schnauzt meinen Namen hin wie ein Zenturio, der befiehlt, Männer auszupeitschen. «Dein Ruf geht dir voran.»
    «Wie dir der deine.»
    «Ich bereue meine Sünden. Kannst du Gleiches von dir behaupten?»
    «Ich kann gut schlafen.»
    Erst jetzt schaut er mich an. Obwohl alterstrübe, haben seine Augen einen stechenden Blick. «Bist du gekommen, um mit mir über den Bischof zu reden?»
    «Hast du mir etwas zu sagen?»
    «Ich war in der Bibliothek. Ich nehme an, darüber wurdest du bereits informiert. Aurelius Symmachus war bestimmt sehr entgegenkommend mit seiner Hilfe.»
    «Du kennst ihn?»
    «Wir sind alte Freunde.» Er beißt auf das letzte Wort wie auf eine Nuss. «Wir waren während der Verfolgung zusammen im Gefängnis. Wusstest du das? Wohlgemerkt, nur einer von uns lag in Ketten. Wir standen nicht auf gleichem Fuß. Er hielt die Peitsche in der Hand.»
    «Hast du Bischof Alexander in der Bibliothek gesehen?»
    Er zieht die Brauen zusammen und dehnt die Haut um seine Augen so weit, dass sie alarmierend groß wirken. «Ich konnte kaum die Hand vor Augen sehen.»
    Ich erinnere mich an seinen Beinamen. Der Sophist biegt sich jedes Wort zurecht. «Bist du ihm begegnet?»
    «Nein.»
    Ich zeige auf die Kirche. «Was ist mit Bischof Eusebius?»
    «Was soll mit ihm sein?»
    «Auch er war in der Bibliothek.»
    «Dann wird er mir wohl aus dem Weg gegangen sein. Er will nicht mit mir gesehen werden. Das will keiner der Kirchenleute – auch dein kleiner Freund dort nicht.» Er nickt in Richtung Simeon, der nervös von einem Fuß auf den anderen stapft, als würde er von Ameisen traktiert. «Sie fürchten, ich könnte sie mit mir in die Hölle zerren.»
    Simeon zieht mich am Arm beiseite und flüstert mir zu, dass der Ritus in der Kirche zu Ende sei. Ich wende mich ab und betrachte den Greis.
    «Weißt du, wer Bischof Alexander getötet hat?»
    Sein Gesicht ist klar, so unschuldig wie Regen. «Das weiß nur Gott.»
    «Hast du ihn umgebracht?»
    Asterius hebt die Arme wie ein Bettler. Die Ärmel rutschen ihm bis zu den Ellbogen herab. Simeon schnappt nach Luft und kehrt ihm den Rücken zu. Was ich sehe, macht mir nichts aus; im Gegenteil, ich schaue mit professioneller Neugier hin.
    Er hat keine Hände mehr, nur faltige Stümpfe.

    «Ein Mann, der fast blind ist und keine Hände hat, wird kaum in der Lage gewesen sein, Alexander den Schädel einzuschlagen.»
    Wir gehen über den Platz, durch die Menge, die aus der Kirche strömt. Simeon ist verärgert.
    «Warum fragst du all diese Leute, ob sie Alexander getötet haben? Glaubst du, irgendjemand würde so etwas zugeben?»
    Ich verlangsame meinen Schritt, um Simeon aufschließen zu lassen. «Als ich noch ein junger Offizier war, wurde einer meiner Soldaten bei einer Wirtshausprügelei niedergestochen. Drei Männer waren bei ihm. Ich fragte nach dem Schuldigen, worauf mir zwei dieselbe Antwort gaben. Der dritte nannte mir den Namen eines der anderen.»
    «Hat er gelogen?»
    «Er sagte die Wahrheit. Die beiden anderen wollten ihn anschwärzen.»
    Während Simeon mein kleines Gleichnis verdaut, kommt die Menge ins Stocken. Sie teilt sich und macht einen Gang in ihrer Mitte frei. Simeon und ich werden zurückgedrängt. Eine goldene Sänfte scheint durch die Luft zu schweben – man kann die acht sarmatischen Sklaven nicht sehen, die unter ihrer Last schwitzen. Auf die purpurnen Vorhänge ist das kaiserliche Monogramm gestickt; daneben prangt der Pfau, das Zeichen von Prinzessin Constantia, der Schwester Konstantins.
    «Eusebius lockt vornehme Besucher in seine Kirche», bemerke ich.
    Die Sänfte zieht vorbei und verschwindet im Palasteingang. Die Menge setzt sich wieder in Bewegung. Simeon und ich gehen außen an der Kirche entlang und verschaffen uns Einlass durch eine kleine Tür,

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