Die Geheimnisse der Toten
Licinius Augustus, glücklich in Mailand zusammentrafen und alles in Betracht zogen, was das allgemeine Wohl betrifft …
Konstantin und Licinius – die letzten beiden Kaiser. Licinius, ein einfacher Soldat mit hübschem Gesicht und verdorbener Phantasie, hat im Ostreich die Nachfolge von Galerius angetreten, während Konstantin nun unangefochten den Westen beherrscht. Sechs Monate nach Konstantins Sieg an der Milvischen Brücke treffen sie sich in Mailand, um die Welt unter sich aufzuteilen. Um ihre Partnerschaft zu festigen. Licinius wird Konstantins Schwester Constantiana heiraten. Niemand erwähnt, dass die letzte Person, die ein Ehebündnis mit Konstantins Familie eingegangen ist, nunmehr als enthauptete Leiche auf dem Grund des Tibers liegt. Das fröhliche Fest soll nicht gestört werden.
Und Constantiana sieht zauberhaft aus. Mit ihren vierundzwanzig Jahren hat sie schon befürchtet, am Ende leer auszugehen und nicht gebraucht zu werden als Spielstein auf dem Schachbrett der Macht. Jetzt ist sie die Schwester des einen Augustus und die Frau des anderen, die mächtigste Frau der Welt, sollte man meinen.
Tatsächlich aber ist sie nicht einmal die mächtigste Frau in diesem Raum. Konstantins silberhaarige Mutter Helena beaufsichtigt die Sklavinnen, die Constantianas Haare bürsten und frisieren, während Fausta, Konstantins Frau, auf einem Liegepolster ruht und spitze Komplimente feilbietet. Wie viel besser ihr doch die hochgesteckten Haare stünden; wie vorteilhaft das Kleid die flache Brust kaschierte; wie schön, eine reife Braut vor Augen zu haben. Es scheint niemanden zu stören, dass Crispus und ich zugegen sind und darauf warten, Constantiana zur Hochzeit zu führen. Sie sind es gewohnt, in Gegenwart von Kindern und Sklaven zu reden.
Die Tür fliegt auf. Es gibt nur einen, der es sich erlauben kann, unangemeldet hier hereinzuplatzen, und tatsächlich, es ist Konstantin höchstselbst. Er schaut von einer Frau auf die andere, entdeckt mich und Crispus in der Ecke und richtet den Blick hilfesuchend auf uns.
«Gaius. Ich brauche dich.»
Constantiana dreht sich auf ihrem Stuhl um. «Stimmt etwas nicht?»
«Licinius macht Ärger. Er ist zwar nach wie vor bereit, die Christen zu dulden, verlangt aber, dass ich Crispus als Geisel zurück nach Nikomedia schicke.»
«Das ist doch nicht zu viel verlangt», bemerkt Constantiana.
«Nein.» Helenas Ton verbietet jede Diskussion.
Konstantin, der sich keinem Mann auf der ganzen Welt beugen würde, hat sichtlich Mühe, seiner Mutter die Stirn zu bieten.
«Mich hast du, ohne mit der Wimper zu zucken, an Galerius’ Hof verbannt», beklagt er sich.
«Das war notwendig um deinetwillen. Jetzt hast du alles. Du brauchst dieses Risiko nicht auf dich zu nehmen.»
«Du sprichst, als wäre mein zukünftiger Gatte ein Verbrecher», mault Constantiana. «Warum sollte mein Neffe nicht mit uns in den Osten ziehen?»
Sie hätte sich ihre Worte sparen können. Helena geht auf Crispus zu und legt ihm einen schützenden Arm um die Taille. Er ist jetzt dreizehn und hat gerade einen mächtigen Wachstumsschub. Seine angenehme Art und sein heiterer Sinn haben ihn zum Favoriten des Palastes gemacht.
«Dein einziger Sohn», erinnert Helena Konstantin.
«Bislang.» Fausta richtet sich auf ihrem Liegepolster auf und tätschelt ihren Bauch, der merklich angeschwollen ist. Nach meiner Erfahrung ist niemand so selbstgefällig und nervös wie eine schwangere Kaiserin.
Helena achtet nicht auf sie. Sie hält ihre Scheidung für rechtswidrig, und Constantius’ Kinder von seiner zweiten Frau sind nicht ihre: Also werden auch Konstantins Kinder von seiner zweiten Frau nicht ihre Enkel sein, gleichgültig, welches Blut in ihren Adern fließt.
«Von mir aus gehe ich nach Nikomedia», sagt Crispus. «Wenn es unbedingt sein muss.»
Konstantin winkt ab. «Licinius versucht nur, einen besseren Handel für sich herauszuschlagen.» Er denkt kurz nach. «Und wenn ich ihm eine zusätzliche Provinz anbiete? Moesia zum Beispiel?»
«Wenn du das tust, wird er glauben, dass du ihm den Zugewinn irgendwann wieder abnehmen willst», gebe ich zu bedenken. Konstantin und ich tauschen Blicke hinter Constantianas Rücken.
«Sind die Christen so wichtig, dass sie meine Hochzeit kaputt machen können?», fragt Constantiana. Die Sklavinnen nehmen von unserem Streit keine Notiz, stecken ihr einen orangefarbenen Schleier ins Haar und gürten das Kleid.
«Musst du die Christen denn explizit erwähnen?»,
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