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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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und riegelte den Weg ab. Die beiden Range Rover wichen aus und rasten über die Wiese auf den Wald zu.
    Abby wurde langsamer. Ihr Kidnapper zerrte an ihr. An einem zwischen hohen Gräsern versteckten Feldstein schlug sie sich das Schienbein auf. Sie taumelte weiter in den Wald hinein. Im Schutz der Bäume hielten die Männer an und schauten zurück.
    Der Hubschrauber war wieder in der Luft und jagte die beiden Range Rover. Warum schießen sie nicht? Ein paar gezielte Salven hätten Dragović zur Strecke gebracht. In einer der Luken waren die Umrisse einer schweren Bordkanone auszumachen. Der Blackhawk schwebte über den Fahrzeugen – eine Katze, die mit der Maus spielte, aber nicht zuschlug.
    Sie haben keinen Schießbefehl, dachte Abby dumpf. Sie kannte das Mandat und wusste um die Regeln des Einsatzes. Die KFOR-Soldaten hatten Dragović im Visier und durften nicht abdrücken. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als ihn zu verfolgen. Einige der Soldaten am Boden rannten den Fahrzeugen hinterher. Andere kamen zu dem liegengebliebenen Pick-up zurück. Hatten sie Abby gesehen? Würden sie rechtzeitig eingreifen können?
    Abby spürte kalten Stahl an den Handgelenken. Der Mann hatte ein Messer gezogen, doch bevor sie Furcht empfinden konnte, spürte sie plötzlich einen Ruck, und ihre Hände waren frei.
    «Du kannst jetzt schneller laufen», sagte er und drückte ihr die Mündung der Waffe ins Steißbein. Sie gehorchte und hastete tiefer in den Wald hinein, bergan, über glitschiges Laub und Gestein, beschwert von ihren nassen Kleidern.
    Im Hintergrund krachte ein Schuss. Instinktiv warf sie sich auf den Boden, und als sie zurückblickte, sah sie einen der beiden Serben auf dem Rücken liegen. Er umklammerte sein rechtes Bein, aus dem Blut strömte. Der andere sprang herbei und feuerte ungezielte Schüsse nach hinten ab.
    Die beiden achteten nicht auf Abby. Sie nutzte die Gelegenheit und rannte los.
    Ihr war, als stünde die Zeit still in einer Welt aus Laub und Schmutz und Blei, aus Schüssen und Schreien und Leere hinter dem nächsten Baum. Sie rannte – in wildem Zickzack. Die Beine scheuerten schmerzhaft an den nassen Jeans, die Lungen drohten zu bersten, und ihre Schulter tat so weh, dass sie sich fragte, ob sie überhaupt noch etwas spüren würde, wenn ein Schuss sie träfe.
    Der Wald wurde lichter. Plötzlich stand sie vor einer steil aufragenden Felswand, darin eine Kluft, vor die ein Kunststoffband gespannt war. Neben dem Einstieg lag ein Haufen frisch aufgeschaufelter Erde. Auf der anderen Seite grinste ihr auf einem in den Boden gerammten Stock ein gebleichter Widderschädel entgegen. Hinter ihr waren Laufschritte zu hören.
    Obwohl sie vor Angst wie benommen war, hatte sie ein Gespür für die Dunkelheit dieses Ortes und den Sog einer heimtückischen Schwerkraft, die sie in die Höhle zu ziehen versuchte. Ein Windstoß fuhr ihr durch die Haare im Nacken, und in einer absurden, verrückten Anwandlung glaubte sie, Michaels Geist wolle ihr etwas sagen. Sie warnen? Ihr Mut zusprechen? Sie musterte das Band vor dem Eingang, die am Boden ausgetretenen Zigarettenstummel und Reste von Verpackungen im Gebüsch. Die Männer hatten sie offenbar hierherführen wollen. Die Höhle schien etwas zu bergen, das von Bedeutung war.
    Doch jetzt näherten sich wieder Schritte. Abby hatte keine Wahl. Kurz entschlossen schlüpfte sie durch den Einstieg in die Höhle. Das von draußen eindringende Licht reichte nicht weit. Von der Dunkelheit in Panik versetzt, klopfte sie ihre Tasche ab und fand Jessops Feuerzeug. Die Flamme leuchtete auf glatte Wände, die für eine Höhle allzu lotrecht verliefen. Sie befand sich in einem Schacht, der tiefer in den Berg führte.
    Nach wenigen Schritten öffnete sich der Schacht in eine rechteckige Kammer mit niedrigem Deckengewölbe. Vor der gegenüberliegenden Wand und unter einer Nische, die einmal eine Skulptur enthalten haben mochte, stand ein steinerner Trog. Verblichene Gemälde in Ocker-, Grün- und Blautönen bedeckten jeden Quadratzentimeter der Wände. Im Licht der Flamme erkannte Abby ein Boot auf einem See, in dem es von Fischen wimmelte; gemalte Säulen, von Efeu umrankt; eine Göttin in hauchdünnem Gewand, die sich über einen schlafenden Helden beugt, umgeben von Löwen, dem Mond und der Sonne. Es waren auch Schriftzeichen zu sehen, die sie aber nicht entziffern konnte.
    Ein Grab, dachte Abby. Was sie für einen Trog gehalten hatte, mochte der Sarkophag sein, und tatsächlich

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