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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Constantius, acht und sieben Jahre alt, Konstantins ersten beiden Söhne von Fausta. Crispus lacht, greift selbst einen Stock vom Boden auf und jagt seine schreienden Halbbrüder zurück zu ihrer Mutter.
    Konstantin wendet sich mir zu. Seine Augen leuchten. «War je ein Mann so glücklich wie ich?»
    Gestern standen sich auf der staubigen Ebene zwischen Chalcedon und Chrysopolis zweihunderttausend Mann im Kampf um das Schicksal der Welt gegenüber. Es war nicht die größte Schlacht, die Konstantin je angeführt hat. Ganz ohne eine Kriegslist oder kluge Taktik zu bemühen, pflanzte er einfach seine Standarte, das labarum , auf, scharte seine Kavallerie um sich, ließ dahinter die Fußsoldaten Aufstellung nehmen und stampfte mit ihnen Licinius’ Reihen nieder. Vielleicht hatte ihn die schiere Größe des Ereignisses zur altbewährten Methode greifen lassen. Es kann aber auch sein, dass er wieder einmal etwas sah, was anderen entging: dass nämlich Licinius, der schon einmal in die Zange genommen worden war und eine Wiederholung mit allen Mitteln verhindern wollte, die Mitte seiner Schlachtreihen entblößt hatte. Und dass in unserer Armee nach monatelangem Einsatz eine wilde Stimmung herrschte und die Entschlossenheit, diese Schlacht schnell zu entscheiden.
    Wir haben das Ende des Weges erreicht. In der Tiefe lappen sanfte Wellen über den steinigen Strand; jenseits der funkelnden See erhebt sich Byzanz auf seinem Felssporn. Noch ist die Stadt nichts weiter als ein kleiner Fährhafen, eine nützliche Zwischenstation für Reisende, die nach Asien wollen oder hinauf ins Schwarze Meer. Aber vom Mittelmeer ist sie zu weit entfernt, als dass sie für den Handel von Bedeutung sein könnte. Aus der Ferne sind nur die hohen Badehäuser und das Hippodrom zu erkennen.
    «Hast du uns diese Aussicht zeigen wollen?», fragt Fausta, die mit dem Säugling im Arm zu uns aufgeschlossen ist. Sie trägt zum Schutz vor der Sonne einen riesigen Hut mit Schleier, der ihre Stimme dämpft. Während Konstantin zeit seines Lebens an der Front kämpfte und meilenweit marschieren kann, ist sie ein Geschöpf des Palastes. Von sich aus würde sie nie einen Ort aufsuchen, der nicht beschattet, gefegt und hergerichtet wäre. An solchen Orten nimmt sie Anstoß.
    «Wir stehen hier auf den Angeln der Welt.» Konstantin spricht manchmal, als sähe er Dinge, die einem selbst verschlossen bleiben. «In der Mitte zwischen Ost und West. Hier entscheidet sich die zukünftige Geschichte.»
    Claudius und Constantius haben Crispus anscheinend bezwungen. Er liegt am Boden und windet sich theatralisch, die Hände auf eine imaginäre Wunde an der Seite gepresst. Dann rührt er sich nicht mehr.
    «Ich dachte, du wärest alt genug, um echte Schlachten zu schlagen», sagt Fausta.
    Crispus steht auf und klopft sich Staub und Kiefernnadeln von der Tunika. «Immer noch jung genug, um mit meinen Brüdern zu spielen.»
    Fausta runzelt die Brauen. Ihre Jungen verehren Crispus; für sie ist er der beste Bruder und Vater in einem. Das missfällt ihr. Wie Crispus ist Konstantin der einzige Sohn einer ersten Ehe. Wie Crispus hat Konstantin drei Halbbrüder aus der zweiten Ehe seines Vaters, die er fürstlich behandelt, aber auf Abstand hält. Der Sieg in der gestrigen Schlacht stößt Fausta bitter auf. Wenn es nur einen Herrscher gibt, was sollen dann ihre Söhne erben?
    Ein Ruf, der hinter uns laut wird, durchschneidet die Geräuschkulisse aus Wellenschlag und Insektengesumm. Als alleiniger Herrscher der Welt geht man nicht ohne weiteres spazieren. Die kaiserliche Garde hat die ganze Halbinsel abgeriegelt. Jetzt nähert sich auf dem Pfad zwischen Gras und Büschen ein Trupp von Soldaten, unter ihnen eine Frau und ein Junge, die beide schlichte weiße Gewänder tragen. Es sind Constantiana und ihr Sohn Licinianus.
    In dem Moment, da sie erscheinen, ist Konstantin nicht mehr Vater, Ehemann oder Freund, sondern einzig und allein der Augustus. Er strafft seine Schultern und richtet sich zur vollen Größe auf.
    Die Soldaten salutieren und bilden eine Reihe. Constantiana legt ein Bündel aus purpurnem Tuch auf dem Boden ab und sinkt davor in den Staub. Auch ihr Sohn beugt die Knie.
    «Von meinem Gatten Licinius – sein kaiserliches Gewand. Er verzichtet auf alle seine Titel und erhebt keinerlei Anspruch auf Macht. Das Einzige, worum er bittet, ist, dass sein Leben und das seiner Familie verschont bleiben.»
    «Hätte er mich verschont, wenn er gestern gesiegt hätte?»

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