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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Konstantin deutet auf Fausta, Crispus und die Jungen. «Oder sie?»
    «Hätte mein Mann gesiegt, würde ich jetzt vor ihm knien und darum bitten, dass er euch verschont.» Ihr Kleid ist kunstvoll zerrissen, das Haar sorgfältig in Unordnung gebracht. Man könnte meinen, sie wäre gerade selbst vom Schlachtfeld gekommen. Die Verzweiflung in ihrer Miene aber ist nicht gespielt. Auch sie hatte Träume.
    Sie starrt vor Konstantins Füße. Der Hauptmann der Wachen ergreift das Heft seines Schwertes. Konstantin schüttelt kaum sichtbar den Kopf.
    Er wölbt seine Hand unter dem Kinn der Schwester, hebt ihren Kopf an und schaut ihr in die Augen. Niemand erkennt, was zwischen ihnen vor sich geht.
    «Es ist meine Schuld», erklärt Konstantin. «Ich muss mir den Vorwurf machen, dich mit ihm, der uns alle hinters Licht geführt hat, verheiratet zu haben. Geh zu deinem Mann zurück und sage ihm, dass ich seine Kapitulation akzeptiere. Er hat seine Machtansprüche verwirkt, kann aber ungehindert nach Thessaloniki ausreisen. Der Palast dort wird ihm eine komfortable Wohnung sein.» Er lächelt aufmunternd. «Immerhin bist du nach wie vor meine Schwester.»
    Constantiana steht auf, wirft sich ihrem Bruder an die Brust und tut so geschwächt, als hätte sie Mühe, die Arme um ihn zu legen. Konstantin schiebt sie von sich und reicht ihr seine Hand.
    Als sie sie küsst, höre ich sie drei Worte sagen: «Tu solus Dominus.» Du allein bist der Herr.

Konstantinopel – April 337
    «Das war ein guter Tag», sagt Konstantin. «Wir haben unsere Arbeit getan.»
    «Und als am nächsten Tag die Sonne aufging, standen doppelt so viele Provinzen unter deiner Regentschaft, das heißt, es gab zweimal so viel zu tun.»
    «Aber wir waren frei.» Er durchquert den Raum und zieht den Staubschutz von einer der Statuen. Ein bärtiges weißes Gesicht starrt ihm entgegen. «Erinnerst du dich an unsere Kindheit an Diokletians Hof? Wenn wir abends wach lagen, an den Dielenböden lauschten und uns fragten, ob in dieser Nacht die Mörder kommen würden. Nacht für Nacht habe ich Gott angefleht, den Morgen erleben zu dürfen. Ich hatte solche Angst, dass ich dich zu mir ins Bett holte.»
    «Die Mörder kamen nicht.»
    «Ich dachte, wenn ich erst einmal der alleinige Augustus wäre, bräuchte ich nie mehr Angst zu haben.» Er blickt der Statue ins Gesicht. «Und seit ich es bin, fürchte ich tagtäglich, alles wieder zu verlieren.»
    «Was hat Alexander für dich getan?», frage ich unvermittelt. Konstantin kraust die Stirn. Er will lieber in Erinnerungen schwelgen, als in die Gegenwart zurückgerufen zu werden.
    «Er hat an einem Historienwerk gearbeitet und glaubte, dass, wenn er alles, was sich während meines Lebens zugetragen hat, aufzeichnen würde, ein Muster darin zu entdecken wäre. Nämlich Gottes Wille.»
    «Sonst nichts?» Konstantin hat mir den Rücken zugekehrt und fährt mit den Fingern über die Falten im marmornen Gewand des Heiligen.
    «Ich habe einen Blick in seinen Koffer geworfen. Darin enthalten waren Aufzeichnungen, die er gesammelt hat, Aufzeichnungen, die du bestimmt nicht gern in einem Buch gelesen hättest. Ich würde sagen, dir dürfte es durchaus recht sein, dass er tot ist.»
    «Alexander war ein umsichtiger Forscher, der fleißig Fakten zusammentrug, um das Wirken Gottes zuverlässig nachweisen zu können. Ich habe ihm Zugang zu allen Archiven und Bibliotheken dieser Stadt gewährt. Kein Dokument war ihm verschlossen.»
    Ich erinnere mich an das, was auf Alexanders Schreibtisch lag – an die Rasierklinge und das Töpfchen Kleber. Und mit einem Mal passt alles zusammen.
    «Er arbeitete gar nicht an einem Historienwerk», sage ich. «Er schrieb die Historie um, und zwar nicht in einem Buch, sondern tief in den Archiven.» Konstantin wendet sich mir zu und ist ganz Ohr. Ich sehe ihm an, dass ich richtig liege. «Alles, was dir peinlich sein oder dich diskreditieren könnte, sollte für immer verschwinden oder umgeändert werden wie das unliebsame Gesicht einer Statue, der vom Steinmetz ein neues Antlitz gegeben wird.»
    Wenn er mit seinem Projekt fertig ist, wird keine Fuge zu erkennen sein.
    «Ein schöneres Antlitz.» Konstantin kehrt in die Mitte des Raums zurück. «Ich habe bereits so viel erreicht in meinem Leben. Vorgefunden habe ich eine zerbrochene Welt, der ich Frieden brachte. Der Hydra der von Diokletian hinterlassenen Regierung habe ich die Köpfe abgeschlagen, einen nach dem anderen, bis alles Üble verschwunden war.

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