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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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An dem Tag, als mich das Heer in York zum Augustus ausrief, starben Männer einen qualvollen Tod, nur weil sie den alten Göttern, an die ohnehin niemand mehr glaubte, nicht opfern wollten. Damit machte ich Schluss, indem ich den Menschen Glaubensfreiheit zugestand. Und ich gab dem Imperium einen Gott, der stark und barmherzig genug ist, um diejenigen zu tolerieren, die im Irrtum leben und mit ihm nicht einverstanden sind. Ganz ohne Gewalt.»
    Ich denke an Symmachus’ Sklaven, der irgendwo im Keller des Palastes schmachtet. Ich stelle mir vor, wie er schreit: «Nicht ganz ohne Gewalt.»
    «Natürlich nicht.» Er ist erregt. «Wir leben in der Welt, wie sie ist, nicht in einer Wunschwelt. Wenn alles einfach und schmerzlos wäre, bräuchte man mich nicht. Du weißt besser als andere, welcher Preis zu zahlen ist.»
    Er stützt sich auf den Altar, als könne er nicht mehr auf den Beinen stehen. Es muss jetzt etwas gesagt werden; vielleicht bietet sich mir in diesem Augenblick die letzte Gelegenheit, den Nebel zwischen uns zu vertreiben. So nahe waren wir uns in all den vorausgegangenen Jahren nicht. Aber ich bekomme kein Wort über die Lippen.
    «Ich möchte als derjenige in Erinnerung bleiben, der ich war.» Er klingt geradezu flehentlich – wenn auch nicht mir gegenüber. Er spricht mit der Ewigkeit. «Was ich erreicht habe, soll in Erinnerung bleiben, nicht der Preis, den ich dafür zahlen musste. Ich meine, das habe ich verdient.»
    Er will von der Nachwelt geliebt werden. «Und dafür sollte Alexander sorgen.»
    «Er wusste alles – einfach alles – über mich und hat sich jeglichen Urteils enthalten. Deshalb muss ich wissen, wer ihn getötet hat. Deshalb habe ich dich mit der Aufklärung des Mordes an ihm beauftragt.»
    «Um dann den erstbesten Sündenbock zu bestrafen?»
    Er gibt sich menschlicher als in all den Jahren zuvor. «Hast du mir nicht zugehört? Verstehst du nicht?»
    Wir sprechen nicht mehr über Alexander oder Symmachus. Wir stehen einander gegenüber, durch einen Altar getrennt. Die untergehende Sonne taucht den Raum in ein warmes Licht. Die zwölf Apostel sind stumme Zeugen unseres Gesprächs. Ich weiß, was ich zu sagen habe.
    Aber die Worte wiegen schwer, schwer wie ein Felsen, der sich nicht von der Stelle rücken lässt. Ich bin nicht Alexander. Ich kann ihm nicht verzeihen.
    «Du hast das Imperium geeint. Das ist dein Vermächtnis.»
    Und? Er wartet darauf, dass ich fortfahre. Als von mir nichts mehr kommt, lacht er bitter. «Weißt du es etwa noch nicht? Ich habe das Reich unter meinen Söhnen aufgeteilt. Claudius, Constantius und Constans erben je ein Drittel. Mundus est omnis divisus in partes tres. » Er lacht wieder, was sich aber so anhört, als schluchze er. «Wenn doch nur die Dinge anders stünden.»
    Wenn doch nur die Dinge anders stünden. Er kann die Vergangenheit nach Gutdünken umschreiben lassen, aber manche Tatsachen bleiben unauslöschlich.
    «Viel Glück im Kampf gegen die Perser.»
    Mit dem Zeigefinger zeichnet er eine Linie in den Staub auf dem Altar, die er dann mit einer zweiten durchkreuzt. «Ich bin froh, aus dieser Stadt hinauszukommen. Manchmal habe ich den Eindruck, sie bringt mich um.»
    Ich lasse ihn in seinem Mausoleum allein zurück, das winzig klein erscheint im Vergleich zu seinen hochtrabenden Träumen. Lautlos fällt Staub, vom letzten Tageslicht sichtbar gemacht.

[zur Inhaltsübersicht]
    27
    Kosovo – Gegenwart
    Ihr Daumen löste sich vom Feuerzeug. Die Flamme verlosch, es wurde dunkel in der Grabkammer. Abby versuchte, wieder Licht zu machen, und drehte am Reibrad, bis ihr der Daumen wund wurde und sie endlich Erfolg hatte.
    Michael stand immer noch da.
    Was sagt man zu einem Toten? Sie hat seit Wochen mit ihm gesprochen – fragend, bettelnd, fluchend. Und jetzt stand sie hier und wusste nichts zu sagen.
    «Ich habe einen der schweren Jungs draußen vor der Höhle gesehen, aber es könnten noch mehr kommen. Und die Amerikaner.»
    «Ich dachte, du wärst tot», flüsterte sie.
    «Das wäre übertrieben, wie auch der Typ da draußen meint.» Er warf einen Blick über die Schulter. «Noch bleibt Zeit.»
    Sie starrte ihn fassungslos an. «Wie …»
    «Wie ich dich gefunden habe? Oder wie es möglich ist, dass ich nicht tot bin?»
    «Wie kommen wir hier raus?»
    «Immer praktisch. Das liebe ich an dir.» Er griff nach ihrer Hand und ging vor ihr in die Hocke. «Ach, wie sehr ich dich vermisst habe, Abby. Es tut mir so leid … die ganze

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