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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fairchild
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dem unzählige Fließbänder ratterten. Sie transportierten rote Kisten, die durch große, an gewaltige Katzentüren erinnernde Klappen in den Raum hineinfuhren und ihn wieder verließen.
    »Das ist der sogenannte Abgabebereich«, erklärte Roosevelt. »Aber wir müssen noch tiefer.«
    »Müssen wir?«
    Je weiter sie in den Keller kamen, desto feuchtkalter wurde die Luft. Avi trottete hinter Roosevelt her, der einen langen, dunklen, von Regalen gesäumten Gang entlangmarschierte. Darin türmten sich, offenbar willkürlich eingestellt, Bücher aller Formen und Größen. Moby Dick stand neben der King James Bible, die sich wiederum an die Gebrauchsanweisung für ein Gerät namens Opel Kadett aus dem Jahr 1979 lehnte. Der muffige Geruch war überwältigend.
    »Roosevelt!«, rief Avi, der seinen Begleiter plötzlich aus den Augen verloren hatte. »Wo bist du?«
    »Schneller, Junge«, antwortete eine Stimme aus der Ferne.
    Avi bekam es ein wenig mit der Angst zu tun und machte sich auf die Suche nach seinem Führer. Je weiter er in das Labyrinth aus Bücherregalen hineingeriet, desto dunkler wurde es, so dass er sich bald mit den Händen weitertasten musste. Die Regale waren mit Staub bedeckt, und die ledernen Einbände der Bücher fühlten sich beunruhigend wie menschliche Haut an. Avi glaubte ein Atmen zu hören, ein dunkles, rhythmisches Geräusch wie vom Blasebalg eines gewaltigen Schmelzofens.
    Etwas Schweres landete auf seiner Schulter, und Avi schlug die Hand vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken. Als er herumwirbelte, stand er vor Roosevelt.
    Wie habe ich ihn verfehlen können? Diese Gänge sind ja kaum breit genug für eine Person.
    Roosevelt stand völlig reglos da wie eine Statue. Er schien nicht einmal Luft zu holen.
    Avi wollte ihn schon anstoßen, als er zu sprechen begann:
    »Des Menschen Leben wird gelenkt von Flut,
    Die ihn zum Glück trägt, lässt er sich denn treiben.
    Wagt er sich nicht auf diese Lebensreise,
    So endet er in Seichtigkeit und Leid.
    Wir alle schwimmen auf dem wilden Meere
    Und müssen mit der richt’gen Strömung ziehn.
    Ansonsten geben wir das Ziel verloren.«
    Als Schweigen entstand, wartete Avi ab, unsicher, ob Roosevelt mit einer Antwort rechnete. Die Worte ähnelten denen, die er auf dem Balkon zitiert hatte. Shakespeare hatte Hannah den Verfasser genannt. Sollte das ein Gedicht sein?
    Roosevelt schüttelte sich und schwenkte das Buch, das er aus dem Regal genommen hatte. Avi las den Titel laut vor.
    » Studien in Gedächtnisschwund – 1769. Das ist aber ganz schön alt.«
    »Es kann dem unsterblichen Barden nicht das Wasser reichen«, meinte Roosevelt und blätterte das Buch durch. »Allerdings enthält es ein Wort, das uns nützlich sein könnte. Hier ist es: perostiavincularandumaperturius! «
    Die letzte Silbe des seltsamen Wortes hallte den Gang entlang, und Roosevelt legte das Buch wieder zurück. Sofort begann das Bücherregal umzukippen. Die Bücher zerfielen, bis sie sich völlig aufgelöst hatten, worauf die leeren Regalbretter sich zusammenfalteten wie der Balg eines Akkordeons. Im nächsten Moment sausten sie wieder auseinander. Avi duckte sich, doch es entstanden nur ein Luftschwall und ein leises Plopp.
    Anstelle des Regals war eine Tür mit einem großen Türknauf aus Bronze zu sehen. Als Roosevelt die Hand bewegte, drehte sich der Knauf, und sie stiegen tiefer hinab ins Labyrinth.
    Die Luft um sie herum wurde kalt. Avi, der immer noch Durins Mantel über dem Arm trug, kam zu spät auf den Gedanken, ihn anzuziehen. An jeder Weggabelung blieb Roosevelt stehen und überlegte, bevor er eine neue Richtung einschlug. Die Gänge wurden von nackten Glühbirnen, an altersschwachen Kabeln baumelnd, beleuchtet. In der Mitte jedes Gangs verlief eine Art Rinnstein, in dem kaltes Wasser lief, so dass Avi aufpassen musste, sich keine nassen Füße zu holen. Dasselbe Geräusch, das Avi schon vorhin gehört hatte, hallte durch die klamme Luft, nur dass es diesmal deutlicher auszumachen war und nicht mehr dumpf, sondern eher wie ein Scheppern klang.
    Das Geräusch dröhnte ihm im Kopf, und sein Puls ging immer schneller. Um Roosevelt nicht wieder aus den Augen zu verlieren, hielt er sich am Rockschoß des dicken Mannes fest. Hier gab es zu viele dunkle Ecken, und er wollte sich lieber gar nicht ausmalen, was dort lauern mochte.
    Allmählich fiel ihm auf, dass sich an den Büchern ringsherum etwas verändert hatte.
    Während sie im ersten Raum wild durcheinander gestanden

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