Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
Himmel.
Eine gewaltige Brücke führte über den Fluss. Es war die einzige in Sicht. Und was für eine Brücke es war! Sie stellte eher eine Stadt für sich dar, auf der sich zahlreiche Türme und Wohnhäuser auf engstem Raum drängten. Am anderen Ufer erhoben sich die Zinnen einer großen Burg, in deren Mitte ein Turm aus weißem Stein in den Himmel ragte.
Drei Schiffe mit roten Segeln fuhren stromaufwärts, ein Anblick, der Erinnerungen auslöste …
Ich kenne das hier bereits!
»Wie findest du es?«, riss Brucie ihn aus seinen Betrachtungen. »Wirklich malerisch, richtig?«
»Ich hätte nicht erwartet, dass es so schön ist. Aber mir ist gerade etwas eingefallen. Ich glaube, ich habe es schon einmal gesehen, und zwar, als Kellen mich aus dem Krankenhaus verschleppen wollte. Er hat es in seiner blauen Flamme heraufbeschworen. Nur dass es sich völlig von dem hier unterschied. Es war stürmisch und verqualmt und so hässlich, Brucie.«
»Du hast es mit Kellens Augen betrachtet. Es war seine Vision, nicht die Wahrheit. Das hier, das ist die Wirklichkeit.« Als sie vor ihm herumschwirrte, verschwamm die Aussicht hinter ihren surrenden Flügeln. »Avi, willkommen zu Hause«, sagte sie strahlend.
Mit Tränen in den Augen stand er auf. Auf dem Wasser hatten die drei Schiffe gleichzeitig gewendet und steuerten auf einen Bootssteg am gegenüberliegenden Ufer zu. Die Besatzung hatte Köpfe und Körper wie Menschen, Beine und Unterleib erinnerten jedoch an große Katzen.
»Was sind das für Geschöpfe?«, fragte Avi.
»Grimalkins«, erwiderte Brucie. »Sklaven. Kellen lässt sie den Fluss patrouillieren. Er bringt sie aus, nun, einem anderen Land hierher. Sie sind grausam und kaum besser als Tiere. Die Weibchen sind übrigens genau umgekehrt gebaut: Katzenköpfe und menschliche Beine.«
Doch Avi hörte nur mit halbem Ohr zu. »Wir sind da«, hauchte er.
»Aber sicher«, entgegnete Brucie. »Wir alle drei.«
Avi brauchte einen Moment, um zu verstehen. »Du hast doch gesagt, Roosevelt sei noch …«
Er hielt inne. Die Gestalt, die plötzlich neben Brucie stand, sah Roosevelt ganz und gar nicht ähnlich, erschien ihm jedoch vertraut. Während Avi den Mund nicht mehr zubekam, biss der Mann in einen Apfel.
»Ich bin ihm gerade in die Arme gelaufen«, erklärte Brucie mit einem argwöhnischen Blick auf ihren Elfenbruder. »Es ist fast, als hätte er uns aufgelauert!«
»Wirklich ein komischer Zufall«, meinte Foster. »Findet ihr nicht?«
»Einfach unglaublich«, seufzte Avi.
Foster klatschte in die Hände mit den langen Häutchen zwischen den Fingern. »Also, wollen wir gehen? Ich kenne nur eine halbe Meile entfernt eine gute Taverne. Ich weiß nicht, was ihr wollt, doch ich …«
»Taverne?«, fragte Avi. »Ich bin hier, um Hannah zu suchen.«
»Schon gut«, erwiderte Foster und wollte Avi den Arm um die Taille legen. »Dafür ist auch noch später Zeit.«
Avi schob ihn weg. »Eben nicht! Ich bin jetzt hier und will die Sache hinter mich bringen. Hilfst du mir oder nicht?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, marschierte er durch den Schnee zum Ufer. Trotz ihrer Schönheit wirkte die Feenstadt groß und fremd. Irgendwo hier war Hannah. Aber wo?
Brucies Flügel schwirrten an seinem Haar. »Natürlich helfen wir dir«, sagte sie.
Mit der riesigen Stadt im Hintergrund sah sie noch winziger aus als sonst.
»Ihr alle beide?« Avi wies mit dem Kopf auf Foster, der angefangen hatte, eine Schneeelfe zu bauen.
»Er ist immerhin mein Bruder«, beteuerte Brucie.
»Ich weiß. Aber traust du ihm?«
»Er ist zwar eine Nervensäge, doch ja. Und du solltest es auch tun. Schließlich hat er sich im Krankenhaus um dich gekümmert.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, meinte Avi.
»Wenn jemand einen Weg in den Turm findet, dann ist es Foster.«
»Den Turm?« Er wies auf die weiße Burg am anderen Ufer. »Meinst du das da?«
»Ja. Falls Kellen Hannah wirklich in seiner Gewalt hat, ist sie sicher dort eingesperrt.«
»Wohnt er in diesem Turm?«
»Ja«, verkündete sie vergnügt. »Und er hat die höchsten Mauern, den breitesten Burggraben und die unfreundlichsten Wachleute, die man sich vorstellen kann. Ohne Kellens Erlaubnis betritt niemand die Burg. Sicher weißt du, dass er der König der Goblins ist.«
»Etwas anderes hätte mich auch gewundert. Und was machen wir jetzt?«
»Ich fliege hinein!« Sie entfernte sich ein paar Meter und kehrte wieder zurück. »Nichts leichter als das.«
»Und was hast du da drinnen
Weitere Kostenlose Bücher