Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
unbeschreiblich weit auf, bis viele Reihen dreieckiger weißer Zähne in Sicht kamen. Dann peitschte er mit seinem langen Reptilienschwanz das Wasser auf, dass es bis an die Wände spritzte.
Avi zuckte zusammen. Angesichts dieses Alptraums erschien ihm Fosters Plan lächerlich. Aber er hatte keine andere Wahl.
Jetzt bin ich schon so weit gekommen. Ich gebe nicht auf.
Mit einer Hand paddelnd, streckte Avi die andere unter Wasser und förderte den Schlüssel zutage, der kein Schlüssel, sondern ein großer grüner Apfel war.
»Es ist ein Bogle Bramley«, hatte Foster ihm erklärt. »Gewachsen in den Obsthainen der Bogles von Beckenham. Natürlich hat er Zauberkräfte und ist deshalb für jemanden mit gutem Geschmack unwiderstehlich, insbesondere wenn dieser Jemand Anteile eines Pferdes in sich trägt. Und da ein Wassergeist eigentlich nichts anderes ist als ein riesiges Wasserpferd, sollte der Apfel ihn lange genug beschäftigen, damit du dich verdrücken kannst.«
»Ein Apfel?«
»Der Wassergeist ist genauso Gefangener im Turm wie deine Freundin Hannah. Kellen hat ihn hereingelockt, als er noch klein war, und inzwischen ist er zu groß, um wieder in den Fluss hinauszuschwimmen. Also bekommt er nur zu essen, was Kellen ihm vorwirft, und das ist nicht sehr viel. Glaub mir, dieser Apfel wird seine Geschmacksknospen reizen wie noch nichts zuvor.«
Der Elf war so überzeugend, ja, sogar selbstsicher gewesen. Nun, in Gegenwart dieses Ungeheuers kam Avi der Vorschlag wie Wahnsinn vor.
Am ganzen Leib zitternd, hielt er den Apfel hoch und rechnete damit, dass die gewaltigen Zähne seinen ganzen Arm gleich mit abbeißen würden.
Der Wassergeist neigte den Kopf und schien zu überlegen. Dann schloss er seine dicken Lippen überraschend sanft um den Apfel und nahm ihn Avi aus der Hand. Mit bebenden Flossen zog er sich in die Dunkelheit zurück und begann, leise wiehernd, an dem Apfel zu knabbern. Avi fragte sich, wie lange er wohl schon von Kellens Küchenabfällen lebte, und empfand zu seiner Überraschung Mitleid mit ihm.
Im hinteren Teil des feuchten Gefängnisses, in dem der Wassergeist festgehalten wurde, führten steile Stufen aus dem Wasser. Vorsichtig, um bloß nicht auszurutschen, stieg Avi sie bis zu einem eisernen Tor hinauf. Es war zwar abgeschlossen, doch die Gitterstäbe standen so weit auseinander, dass er sich hindurchzwängen konnte.
Nach einem letzten Blick auf den zufriedenen Wassergeist ließ Avi das Verrätertor hinter sich und ging weiter in den Turm hinein.
Kapitel 22
B ald hatte Avi den Bereich zwischen der äußeren und der inneren Burgmauer erreicht. Die Mauern, die sich zu beiden Seiten wie Klippen erhoben, bildeten einen Gang, der etwa so breit wie eine Straße und von rotem Licht und waberndem Rauch erfüllt war. Der Durchgang wimmelte von umherhastenden und durcheinanderrufenden Gestalten, von denen die meisten Umhänge mit Kapuzen trugen oder im Qualm nicht zu erkennen waren. Eine Gestalt eilte genau auf Avi zu, so dass er sich in eine Nische duckte. Der Kapuzenmann lief an ihm vorbei, ohne ihn zur Kenntnis zu nehmen. Nur dass es kein Mann war, sondern …
Kellen!
Als der Rauch dünner wurde, bemerkte Avi, dass alle Gestalten Kellen leicht ähnelten und die gleichen spitzen Nasen und tiefliegenden Augen hatten. Eine Burg voller Goblins.
Einige schleppten Säcke, die so ausladend waren wie die Bäuche, die ihnen über ihre klappernden Kettengürtel hingen. Andere trugen stapelweise schimmernde Waffen, darunter auch Schwerter und Streitäxte, im Arm. Ein Stück die Straße hinunter konnte man durch ein Fenster in die riesige Schmiede schauen, in der diese Waffen hergestellt wurden und die die Quelle des Qualms und des Lichts war. In der Schmiede schlugen hünenhafte Goblins, die Lederschürzen trugen, mit Hämmern auf große schwarze Ambosse ein. Bei jedem Hieb stießen sie ein Grunzen aus, das durch die belebte Straße hallte.
Aus all diesem Treiben ließ sich nur ein Schluss ziehen: Kellen bereitete sich auf einen Krieg vor.
Im Schutz der Dunkelheit huschte Avi auf den schlanken Turm zu, der sich aus der Finsternis erhob. Mit Stroh gedeckte Vordächer klammerten sich wie Flechten an den unteren Teil des Bauwerks. Avi versteckte sich unter dem nächstbesten und versuchte, das Wasser aus seinen Kleidern zu wringen. Allmählich klapperten ihm die Zähne.
Zwei Goblins trotteten vorbei und unterhielten sich in ihrer gutturalen Sprache. Avi kauerte sich hinter einen Strohballen. Als er
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