Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
richtest ihr etwas von mir aus. Die Nachricht ist ganz einfach: Ich habe hier etwas, das ihr sehr am Herzen liegt.«
»Und was könnte das sein?«, stieß Foster hervor.
»Ihren unehelichen Sohn.«
Er warf Foster aus einem der Fenster auf dem Flur. Avi sah noch, wie die schimmernden Flügel sich entfalteten, dann war der Elf fort.
»Man kann ihm nicht trauen«, meinte er.
Kellen blickte ihn durch die Gitterstäbe finster an. »Mich betrügt man nicht.«
Sein langer Umhang wirbelte Staub auf, als er den Flur entlangstolzierte.
»Wer ist Arethusa?«, erkundigte sich Hannah.
Avi erzählte Hannah von seinen bisherigen Abenteuern. Als er gestand, er habe eine Nacht in ihrem Haus verbracht, fing sie an zu lachen. Dann verdüsterte sich ihre Miene.
»Du warst doch nicht etwa in meinem Zimmer, oder?«
Avi spürte, wie er errötete. »Äh, nun ja …«
»Du warst drin, richtig? War es sehr unordentlich? Lag viel Unterwäsche und Kram herum?«
»Ich habe nichts gesehen«, erwiderte Avi. »Mir hat die Aussicht aus deinem Fenster gefallen. Man hat Blick über den Hügel bis zur Menagerie.«
»Menagerie? Ach, du meinst den Zoo. Der gefällt mir auch. Manchmal kann man die Tiere hören.«
Sie schauten gleichzeitig zum Zellenfenster, wo rötlicher Qualm waberte. Von draußen drang das Rumpeln von Karren und das Klappern der Metallklingen herein, die auf den Ambossen in der Schmiede hergestellt wurden.
Eine Spinne kroch über den Boden bis zu Hannahs Fuß. Als sie mit den Zehen wackelte, ergriff die Spinne die Flucht.
»Und kehren deine Erinnerungen allmählich zurück?«, fragte sie.
»Einige. Ich habe noch ein paar Seiten des Buchs gelesen.« Er schlug gegen die Wand. »Zum Teufel mit Foster.«
»Du hast das getan, was dir in diesem Moment am vernünftigsten erschien.«
»Und jetzt bereue ich es. Nun hat Kellen das Buch. Wer weiß, was er damit anstellt?«
»Du bist machtlos dagegen, Avi. Außerdem hast du meine Frage noch nicht beantwortet. Wer ist Arethusa?«
Schnee am Himmel … Ungeheuer im Saal …
»Sie ist meine Mutter. Die Königin.«
»Die Königin!«, begann Hannah. »Vielleicht kann sie ja …«
Die Zellentür öffnete sich klappernd, und ein junger Mann kam mit einem Tablett herein.
»Frühstück«, verkündete er.
Der Fremde sah nicht unbedingt aus, als gehöre er zum Küchenpersonal. Er trug eine lange, gutgeschnittene Tunika. Sein langes blondes Haar war zurückgekämmt und eingeölt, und seine Hände wirkten weich und sauber. Avi bemerkte sofort, dass seine eine Hand drei, die andere vier Finger hatte. Also musste er Goblin-Blut in den Adern haben. Das flackernde Licht der Fackeln warf Schatten auf sein markantes Gesicht. Ohne die mürrische Miene hätte man ihn als attraktiv bezeichnen können.
»Kenne ich dich nicht irgendwoher?«, erkundigte sich Avi.
Der junge Mann betrachtete ihn. »Du kannst aber Fragen stellen. Willst du jetzt das Essen oder nicht?«
»Ja bitte«, antwortete Hannah.
Der junge Mann schob das Tablett über den Boden. Ein halber Laib Schwarzbrot lag darauf.
»Soll das alles sein?«, fragte Avi.
»Fordere dein Glück nicht heraus«, flüsterte Hannah. »An manchen Tagen habe ich noch weniger gekriegt.«
Avi brach das Brot in zwei Hälften und warf Hannah das größere Stück zu. Der junge Mann beobachtete sie beim Essen.
»Lecker, was?«, meinte er.
»Du bist hier fertig«, gab Avi zur Antwort. »Warum lässt du uns nicht in Ruhe?«
»Ruhe?« Er setzte sich auf den Stuhl und legte, wie vorhin Kellen, die Füße auf den Tisch. »Ich hätte gern einmal ein wenig Ruhe. Ruhe ist, wenn man nachts schlafen kann, richtig? So hat man es mir wenigstens erzählt. Wenn man … zufrieden ist. Bist du zufrieden, Avi?«
»Woher weißt du, wie ich heiße?«
»Das weiß doch jeder. Aber nicht alle haben so viel Glück wie du. Nicht alle sind unter so günstigen Vorzeichen geboren. Während du im Licht wandelst, müssen wir anderen uns im Schatten herumdrücken, ohne dass sich jemand an uns erinnert. Aber alle Welt erinnert sich an dich, Avi.«
Avi kaute sein Brot. Es schmeckte scheußlich. »Wer bist du?«, fragte er.
»Ich bin Levi«, erwiderte der junge Mann. »Warum interessiert dich das? Sonst kümmert es doch auch keinen. Es ist dasselbe wie bei einem Verbrechen. Alle achten nur auf den Dieb, nicht auf das Opfer.«
»Wovon redest du?«, mischte sich Hannah ein. »Hier hat niemand etwas gestohlen.«
Levi nahm einen Brotkrümel und knetete ihn zwischen den
Weitere Kostenlose Bücher