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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fairchild
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Fingern. »Oh, ganz im Gegenteil. Dein Freund hier hat es getan.«
    »Er ist nicht mein …«
    Levi warf ihr den Brotkrümel ins Gesicht. »Er ist ein Dieb! Also passt es ja, dass er in einer Zelle gelandet ist.«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung, was du meinst«, protestierte Avi.
    Levi musterte ihn. »Offenbar wirklich nicht«, flüsterte er. »Es hieß, du littest an Gedächtnisschwund, doch ich hätte nie geglaubt …« Sein Kichern war hoch wie das eines Mädchens. »Du weißt also tatsächlich nicht, wer ich bin?«
    »Ich will, dass du endlich verschwindest«, gab Avi zurück. Dennoch war er neugierig geworden, und Erinnerungsblasen stiegen in ihm auf.
    Levi wandte sich zur Seite und zeigte sein Profil. »Siehst du es? Angeblich nimmt man es nur unter bestimmten Lichtverhältnissen wahr.«
    »Was soll ich sehen?«
    »Die Ähnlichkeit.«
    »Die Ähnlichkeit womit?«
    »Unserer Mutter!«
    Die Blasen platzten: Schnee, eine Treppe aus Efeu, ein großer Saal, gefüllt mit Wesen aus dieser und einer anderen Welt. Arethusa. Avi schloss die Augen.
    Die Frau im weißen Hermelin. Die Frau im Bankettsaal. Sie hat mich fortgeschickt. Und jetzt will sie mich wiederhaben.
    Irgendwo suchte seine Mutter nach ihm, so wie er nach ihr suchte.
    Er schlug die Augen auf. Levi hatte sich dicht über ihn gebeugt. Sein Gesicht war vertraut. Das Gesicht … meines Bruders!
    »Langsam geht dir ein Licht auf, richtig?«, sagte Levi. »Das erkenne ich an deinen ach so besonderen Augen. In diesem Fall erinnerst du dich möglicherweise noch an diese Zeilen:
    ›Damit sich Feenreich und Welt der Sterblichen vereinen,
    Muss der Königin Erstgeborener den Thron besteigen.‹«
    Die Worte klangen bedeutungsschwer und drangen Avi bis ins Mark.
    »Ein hübsches Sprüchlein, nicht?«, fuhr Levi fort. »Und außerdem eine Prophezeiung von niemand Geringerem als dem Orakel selbst. Ein Jammer, dass es sich nicht richtig reimt. Und ein noch größerer Jammer ist es, dass es da einen unehelichen Sohn gibt, der die ganze Sache verkompliziert.«
    »Verkompliziert ist das richtige Wort«, ließ sich Hannah vernehmen. »Oder kommst du da mit, Avi?«
    Avi dachte noch immer über Levis Äußerung nach. Durin hat das Orakel erwähnt. Hat er das damit gemeint?
    »Das bin ich«, sagte er schließlich. »In der Prophezeiung geht es um mich. Ich bin Arethusas erstgeborener Sohn, oder, Levi?«
    »Du hast mir, was diese ehrenvolle Stellung angeht, neun Jahre voraus«, entgegnete Levi.
    »Moment mal«, wunderte sich Hannah. »Neun Jahre? Wie alt bist du denn? Ich habe dich auf Avis Alter geschätzt.«
    »Kommt drauf an, wie man es berechnet.« Levi durchquerte die Zelle und starrte durch die Gitterstäbe nach draußen. »Als ich sieben war, hat mein Vater mich zu einem elenden Wicht namens Fugit gebracht.«
    »Den kenne ich«, antwortete Avi.
    »Fugit hat mir geholfen, erwachsen zu werden. Er hat mich durch die Zeit gestoßen, so dass ich in einem Wimpernschlag nicht mehr sieben, sondern sechzehn war. Alles nur, weil mein Vater wollte, dass ich statt deiner den Thron erbe. Oh, versteh mich nicht falsch. Gegen seinen Ehrgeiz habe ich nichts einzuwenden. Nur seine Methoden lassen einiges zu wünschen übrig.«
    Avi betrachtete den jungen Mann, der eigentlich nur ein Junge war, und versuchte, sich seine Gefühle auszumalen. Schließlich hatte man ihm ein großes Stück seines Lebens gestohlen.
    Er kam zu dem Schluss, dass er es sich sehr gut vorstellen konnte.
    »Levi«, meinte er. »Es tut mir leid.«
    Levi stürzte sich auf Avi und packte ihn am Hals. »Es tut dir leid? Glaubst du, du kannst dich einfach dafür entschuldigen, dass du mir die Kindheit geraubt hast, und dann ist alles wieder in Ordnung?«
    Sein Griff wurde fester, seine Lippen verzogen sich, und einen Moment sah er genauso aus wie …
    »Kellen«, stieß Avi hervor. »Kellen ist dein Vater.«
    Auf der anderen Seite der Zelle schnappte Hannah erschrocken nach Luft.
    Levi drückte noch einen Moment zu und ließ dann los. »Ganz richtig, Bruderherz«, höhnte er. »Und zwar allein meiner, kapiert? Dein Vater ist schon lange tot. Gut, dass wir ihn los sind.«
    »Also seid ihr nur Halbbrüder«, stellte Hannah fest.
    Avi sackte gegen die Wand und rieb sich die Kehle. Ihm war schwindelig und sogar ein wenig übel. Was hatte McNemosyne über die Kunst des Erinnerns gesagt? Er müsse es langsam angehen, um seine Sinne nicht zu überfordern. Offenbar hatte sie recht, gleichgültig ob er nun das

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